Der Schmuckkünstler Warwick Freeman arbeitet mit Formen und Symbolen, die allen vertraut sind und doch individuelle Bedeutung gewinnen.

Warwick Freeman

Stern und Blume, Herz und Haken

warwick freeman

Warwick Freeman: »Handbird« | 2019 | Schwarze Jade, 4,1 x 3,8 cm | © Warwick Freeman, Foto: Sam Hartnett

Ein kleiner Anhänger aus schwarzer Jade, die Form ist eine Mischung aus Hand und Vogel, die Finger zu Federn und Flügeln verlängert, der Armansatz zum Kopf mit Schnabel gebogen. Ein Mischwesen. Und ein Symbol, wie geschaffen für einen Freigeist und Künstler, der mit seinen Händen arbeitet.

Warwick Freeman ist einer der einflussreichsten Schmuckkünstler weltweit. Er lebt und arbeitet in Auckland in Neuseeland. Aotearoa, wie die Maori Neuseeland nennen, ist auch sein künstlerischer Kosmos. Freeman nutzt die natürlichen Materialien des Landes und des gesamten pazifischen Raums: ortstypische Gesteine, Pflanzen, Hölzer, Schnecken, Knochen und Muscheln. Die Paua-Muschel zum Beispiel mit ihren irisierenden Regenbogenfarben, oder den neuseeländische Greenstone, auch bestimmte Formen, wie etwa die herzförmigen Blätter der Kava-Kava-Pflanze, die die Maori seit Jahrhunderten als Heilpflanze nutzen, gehören in sein Repertoire. Es sind Materialien mit Identität, eng verbunden mit bestimmten Orten. »North Cape to Bluff« heißt eine Reihe von Ringen aus natürlichen Steinen: vom nördlichsten zum südlichsten Punkt Neuseelands hat Freeman nach Steinen gesucht, die Ringe bilden so eine Art geologisches Archiv des Landes. Mit ihrer kugelrunden Form und den mineralischen Farben und Strukturen erinnern sie an Planeten, machen aus dem Land einen ganzen Kosmos.

warwick freeman

Warwick Freeman in seiner Werkstatt, 2019 © Sam Hartnett

»Hook Hand Heart Star – Haken Hand Herz Stern« heißt die Schau in der Pinakothek der Moderne. Der Titel vereint vier der Symbole, die Freeman besonders wichtig sind und mit denener besonders viel arbeitet. Unter den Haken ist beispielsweise ein Angelhaken aus Gold (was leider nichts nützt, gefangen hat er damit nichts) aber auch der Haken eines Kleiderbügels oder der kleine Haken an der Verpackung von Socken. Besondere Bedeutung hat für ihn auch das Herz, heutzutage eine omnipräsente Form, die man schnell in die Kitsch- und KlischeeEcke drängt. Freeman versucht, zum Ursprung der Form zurückzufinden. Eines seiner Herzen ist aus Scoria geschliffen, einem schwarz-roten Lavastein mit tiefen Lufteinschlüssen. Direkt auf diesem Herz sitzt ein vierzackiger Stern, eine Art Markenzeichen Freemans. Die Kontur dieses Sterns ist die Negativ-Form eines Kusses. Kleine Beweisführung zum Mitmachen: Man drücke Daumen und Zeigefinder der linken Hand aufeinander: an den Spitzen bilden sich zwei lippenähnliche, pralle Wülste. Das gleiche mit rechts. Und nun beide Hände zum Kuss zusammenführen – und schon halten sie einen Warwick-Freeman-Vierzackstern in den Händen. Es ist eine Form, die dem Menschen gewissermaßen körperlich eingeschrieben ist und die die Menschen in Liebe verbindet. Es sind solche Formen, nach denen Warwick sucht: Formen und Symbole, die jeder Menschen auf der Welt versteht und die doch für jeden eine ganzeigene, persönliche Bedeutung haben können.

warwick freeman

Warwick Freeman: Broschen »White Ghost«, »Orange Ghost«, »Green Ghost« | 2003 | Corian und Stahl | © Die Neue Sammlung – The Design Museum Foto: Alexander Laurenzo

So wie der Klatschmohn. In Australien und Neuseeland erinnert die Mohnblüte an die gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege. Am nationalen Anzac-Tag gibt es überall im Land Anstecker mit Plastik-Mohnblumen auf der Straße zu kaufen. Für alle, die davon nichts wissen, bleibt die blutrote Blüte mit ihrer schwarzen Mitte: für manche einfach eine schöne Blume, ein roter Tupfen auf der grünen Wiese, für andere ein Symbol der Vergänglichkeit, weil die Blüte nach dem Pflücken so schnell zerfällt.

Manchmal versucht Freeman, Formen eine neue Bedeutung bzw. einen neuen Wert zuzuschreiben. Eine kleine Brosche zeigt einen weißen Schmetterling. Der weiße Schmetterling ist eigentlich nicht heimisch in Neuseeland, er wurde von den weißen Kolonisatoren eingeschleppt und gilt als Schädling. Freeman verwendet ihn als Zeichen für die Pākehā, wie die indigenen Maori Neuseelands die Nachfahren der europäischen Siedler nennen. Aber ein Schädling als Schmuckstück, das man sich anheftet wie einen Orden? Mit seinen Schmetterlings-Broschen legt Freeman die Spannungen offen, die in einem kolonisierten Kontext wie in Neuseeland unweigerlich herrschen und strebt mit dieser Offenheit nach einer Neubewertung. Immer wieder nutzt Warwick auch Formen, die ihm im Alltag begegnen und macht daraus Schmuck, der beim ersten Hinsehen vertraut erscheint: ein Keks wird zur »Biskuit-Brosche« aus Perlmutt, mit seinen »runden Zacken« erinnert er an eine Blume. In anderen Stücken entdeckt man bei genauerem Hinsehen die Lasche einer Getränkedose oder ein flachgedrücktes Matchboxauto. Warwick Freeman ist ein Formensammler und Schnitzeljäger, immer auf der Suche nach etwas, das zu ihm spricht und das für ihn »richtig« aussieht: »Something that looks right«, wie er bei der Eröffnung der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne sagte. Es gibt in dieser Ausstellung ziemliche viele Stücke, die ziemlich richtig aussehen. ||

WARWICK FREEMAN. HOOK HAND HEART STAR
Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne | Barer Str. 40 | bis 15. Juni | Di–So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | die reich bebilderte Publikation (arnoldsche Art Publishers, 304 Seiten) kostet 38 Euro

Weitere Besprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


Das könnte Sie auch interessieren: