John Cale ist 82 Jahre alt und noch immer entrüstet über den Zustand der Welt. Das ergibt eine Menge gute Lieder.
John Cale
Fröhlich verstimmt

Wäre ja noch schöner: John Cale, unbeeindruckt kreativ | © Universal Music
Ob er ab und zu auch an den Tod denke, das wurde der inzwischen 82-jährige John Cale im letzten Jahr in einem »Spiegel«-Interview gefragt. Seine Antwort: »Nicht so oft, nein. Ich denke eher, dass ich noch viel zu arbeiten habe – und mich beeilen muss, das zu erledigen.« Anlass für das Interview war das Album »POPtical Illusion«, das der walisische Musiker, Komponist und Produzent am 7. März in der Alten Kongresshalle vorstellt. »POPtical Illusion« ist ein schönes und für Cale-Verhältnisse überraschend beschwingt klingendes Alterswerk. Und das, obwohl die Songs während der Pandemie entstanden. Fast 90 Lieder hat Cale in dieser Zeit geschrieben. Mit »Mercy« brachte er zudem erst 2023 ein tolles Album heraus. Und da sprach so mancher schon von einem würdigen Abschlusswerk.
Aber nein, John Cale hat auch mit 82 Jahren noch viel zu sagen und auf Tournee gehen will er ebenfalls weiterhin. Denn, auch das sagte er im Interview, das sei sein »Lebenselixier als Künstler. Und es ist der Grund, warum ich überhaupt Musik mache. Wenn ich nicht für Menschen spiele, weiß ich nicht, was ich tue und wer ich bin.« Wer John Cale ist? Nun, das muss man heute kaum mehr erklären. Das hat viel mit The Velvet Underground zu tun. Die damals kommerziell erfolglose, heute als legendär und ungeheuer einflussreich geltende Rockband hatte John Cale 1965 mit Lou Reed in New York gegründet. 1968 war er da aber schon wieder raus. Trotzdem wird sein Name bis heute zu einem großen Teil damit verbunden.
Dabei hat der britische Musiker, der eine klassische Ausbildung als Bratschist und Pianist genoss, eine 60 Jahre umfassende Karriere hinter sich. In New York war der Eleve aus Garnant, der bereits an der Londoner Hochschule und am Goldsmith College studiert hatte, 1963 über ein Stipendium gelandet. Er lernte dort John Cage und auch La Monte Young kennen, von dem er die Technik der »Drones«, also den Einsatz »brummender« Kadenzen übernahm. Dieser Kunstgriff wurde sowohl für The Velvet Underground als auch für Cales Solowerk sehr prägend. Was Cale ebenfalls aus Wales mitbrachte, das waren Wut und Verrücktheit. Tatsächlich sagte seine damalige Bandkollegin, die Schlagzeugerin Maureen »Moe« Tucker, später einmal: »Als John Velvet Underground verließ, wurden wir, glaube ich, ein bisschen normaler.«
John Cale machte dann alleine weiter, als Musiker und Produzent für Leute wie Patti Smith oder die Stooges. Er brachte 1970 mit »Vintage Violence« sein Solodebüt heraus und bald darauf die Alben »The Academy in Peril«, »Paris 1919«, »Fear«, »Slow Dazzle« und »Helen of Troy«, die allesamt in die Annalen des anspruchsvollen Songwritings eingegangen und übrigens ebenfalls im letzten Jahr noch einmal neu in De-luxe-Versionen erschienen sind. Zusammen mit »POPtical Illusion«, ein Wortspiel, das dem Waliser angeblich einfiel, weil die Songs so unbeschwert klingen. Es ist ein bisschen Pop, Punk, Artrock, geprägt vom Synthesizer oder Klavier. Auch Hip-Hopper wie Vince Staples oder J Dilla sollen ein Einfluss gewesen sein. Gäste wie auf »Mercy« gibt es nicht. Dadurch klingt alles etwas konzentrierter. Aber das innere Feuer brennt. Auch in den Texten ist der Groll über den Zustand einer in Flammen stehenden Welt zu spüren. Und da ist es doch gut zu wissen, dass uns John Cale mit alldem nicht alleine lässt und noch immer seine Lieder singt. ||
JOHN CALE
Alte Kongresshalle | Am Bavariapark 14 | 7. März | 20 Uhr | Tickets: 089 54818181
Weitere Vorberichte finden Sie ab morgen in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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