Der Bildhauer Fritz Koenig setzte sich seit den 50er Jahren mit archaischen Formen und Traditionen der Moderne ebenso auseinander wie mit Figuren und Motive der Antike. Diesen Dialog demonstriert eine Ausstellung in der Glyptothek.

Fritz Koenig in der Glyptothek

Roßmensch, Ikarus und Kugelkaryatide

fritz koenig

Ein Gegenbild zum »Barberinischen Faun« – Fritz Koenig: »Großer Roßmensch« | 1992–2000 | Eisen, 234 x 79 x 99,5 cm | Leihgabe der Fritz-und-Maria-Koenig-Stiftung

Seinen Student*innen bläute er fast im Wortsinne ein, sie sollten bloß nicht glauben, – so gut wie – Henry Moore zu sein. Und deshalb auch bitte die Finger von organischen Formen lassen. Sie könnten es eh nicht und sollten froh sein, wenn sie anständige Architekten würden. Denn der Landshuter Bildhauer und Zeichner Fritz Koenig (1924–2017) unterrichtete fast 20 Jahre lang, von 1964 bis 1982, als Professor an der Architekturfakultät der TU München das Pflichtfach mit dem etwas kryptischen Titel »Plastisches Gestalten« – und war unter den Studis seiner teils groben Direktheit halber zugleich gefürchtet wie auch anerkannt und geachtet.

Er selber ließ alsbald ebenfalls die Finger von organischen Formen à la Henry Moore (1898–1986), wiewohl Kunstkritiker anmerken, dass seine Kopfformen sowie manche seiner eher frühen Skulpturen durchaus deutlich an den weltberühmten, viel älteren Briten erinnerten – mit dem er insgeheim ebenso konkurrierte wie er ihn auch bewunderte.

Nun wird der in Würzburg geborene Fritz Koenig, der seit 1961 in Landshut lebte und dank der Fritz-und-Maria-Koenig-Stiftung ein eigenes Koenig-Museum hat, in einer ebenso beeindruckenden wie schönen Ausstellung in der Glyptothek in München gefeiert. Die Jubiläumsschau zum 100. Geburtstag – »Mythos & Moderne. Fritz Koenig und die Antike« – zeigt eindrucksvoll wie selten, dass sich Koenigs Plastiken vor den antiken Meisterwerken nicht verstecken müssen. Kein Wunder, dass ihn nicht wenige zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern des 20. Jahrhunderts zählen.

Studiert hatte er im ersten Nachkriegsjahrgang an der Münchner Akademie bei Josef Wackerle und Anton Hiller. Und erste Erfolge 1958/59 bei der Biennale in Venedig und auf der documenta gefeiert. Aus seinem reichen Œuvre für die Schau ausgesucht wurden nun Arbeiten, die die vielschichtige Auseinandersetzung des Künstlers mit der antiken Mythologie, mit antiken Bildformeln, aber auch fundamentalen Themen des Menschseins unter Beweis stellen, was natürlich wunderbar zu den antiken Figuren passt. Koenigs Arbeiten – darunter auch Zeichnungen und Papierschnitte – fügen sich nicht wie harmonisch in die überragenden originalen Klassiker der Griechen und Römer ein. Kontrast lautet das Thema – schon aufgrund der Materialien. Rostiger Stahl und charakteristische Bronze versus weißer Marmor und heller Stein. Das ist für alle ein Gewinn.

fritz koenig

Ein Modell des Hauptwerks – »Kugelkaryatide V N.Y.« | 1968 Bronze, 60 x 45 cm | Leihgabe der Fritz-und-Maria-Koenig-Stiftung
© Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München (2)

Am besten demonstriert dies der »Saal des Faun«. Die wohl beeindruckendste antike Skulptur des Museums, der total entspannt, genießerisch und irgendwie etwas frivol ausgestreckte »Barberinische Faun«, sieht sich plötzlich einer recht ernsten runden rostigen Scheibe auf einem Sockel gegenüber: das »Große Epitaph für Ikarus« (1987). Herunterfallende stereometrische zylindrische Stäbe kleben an der Rückwand des Sockels. Eine Kugel liegt verloren ganz unten. Der Körper des vom Himmel gefallenen Ikarus zerlegt sich in geometrische Einzelteile – ein Markenzeichen Koenigs. Die Arbeit wird so zum Symbol für menschliche Hybris. Der junge Sohn von Daidalos, der die Flügel für die Flucht der beiden durch die Luft entworfen hatte, wollte die Sonne aus der Nähe betrachten, kam ihr zu nahe – und das Wachs, das alles zusammenhielt, schmolz. Ikarus stürzte ins Meer. Soweit der Mythos. Das Ikarusthema griff Koenig übrigens mehrfach auf, auch in einer Serie von Zeichnungen. Rubriziert wird das unter einem seiner Leitthemen: Verletzung, Tod, Vergänglichkeit. Womit Koenig bereits in frühesten Jahren bei seinem Fronteinsatz in Russland im Zweiten Weltkrieg konfrontiert wurde.

Ein weiteres lebenslang verfolgtes, ständig variiertes Thema sind Pferde. Dazu muss man wissen, dass Koenig nicht nur Bildhauer – sondern auch Pferdenarr war, der in seiner Jugend nach eigenen Aussagen mitunter lieber Pferd als Mensch gewesen wäre. Oder besser: Sein ländliches Leben auf dem Ganslberg bei Landshut (mit Wohnhaus, Atelier und Stallungen) machte es dem seit Kindheit leidenschaftlichen Reiter möglich, eine eigene Vollblutaraberzucht aufzubauen, die durch den seinerzeit als weltweit schönstes Pferd geltenden Hengst Nahbay weltberühmt wurde. Im Werk spiegelt sich das schon in den frühen Arbeiten und später auch in den »Roßmenschen«. Was Picasso der Stier, war Koenig das Pferd: Sinnbild für eine Ästhetik des Triebhaften, Wilden, Unbeherrschten.

Dabei wird das Prinzip der Verschmelzung wichtig: In »Quadriga« (1957) oder »Biga« (die monumentale Version steht vor der Alten Pinakothek) vereinigen sich Tiere und Gefährt zu einer schlüssigen Gesamtkomposition. Bemerkenswert auch die Skulptur »Poseidon« aus den sechziger Jahren, in der Ross und Reiter eins werden. Im Saal der frühgriechischen Jünglinge steht nun ein eiserner »Großer Roßmensch« (1992–2000) und im Saal des Diomedes das weibliche Gegenstück, das große »Roßweib« (1989/90).

Sein Hauptwerk – ein Modell davon ist in der Glyptothek ebenfalls zu sehen – fällt hierbei thematisch etwas aus dem Rahmen. Aber mit »Große Kugelkaryatide N.Y.« (1967–1972) wurde Koenig weltberühmt: Mehr als 20 Tonnen schwer und fast acht Meter hoch ragte sie vor den Twin Towers des World Trade Center in Manhattan in die Höhe. Nach deren Einsturz 2001 fand sich die nahezu unversehrte, freilich etwas zerbeulte Plastik unter den Trümmern wieder. Zur Wiederaufstellung der Bronzeskulptur – das ließ sich der nicht mehr ganz junge Koenig nicht entgehen – reiste er 2017 eigens in die Vereinigten Staaten. Heute steht sie geschunden wie gefunden als Mahnmal kaum 200 Meter vom alten Standort entfernt im »Liberty Park«. ||

MYTHOS & MODERNE. FRITZ KOENIG UND DIE ANTIKE
Glyptothek | Königsplatz 3 | bis 30. März | Di–So 10–17 Uhr, Do bis 20 Uhr | Der illustrierte Katalog (48 S.) kostet 14,90 Euro

Weitere Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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