Marilyn Manson will böse sein und satanisch wirken. Gar nicht so einfach, wenn Grusel inzwischen zum Alltag gehört.
Marilyn Manson
Schockschwerenot!

Marilyn Manson, Voldemort des Pop | © Ralf Dombrowski
Rock ist tot. Und wir haben ihn getötet? Wollen wir keine schockierend-faszinierenden Rebellen mehr oder haben sie sich selbst überlebt? Im Falle von Marilyn Manson gibt es noch genug Gläubige: Seine Audienz im Zenith am 13. Februar ist ausverkauft, Secondhandangebote bewegen sich im dreistelligen Bereich. Und trotzdem schwingt ein leises, doch bestimmtes »Ach, den gibt’s ja auch noch« mit. Oder doch noch mehr?
Das war in den gesegneten Neunzigern noch anders. Da war dieser Herr in den USA der Staatsfeind Nr. 1. Ein Bürgerschreck im Korsett,der Satan huldigte und Amokläufer inspirierte. Vielleicht war sein brachial-düsterer Industrial Rock eine der letzten großen Erschütterungen, die das Popbusiness heimsuchten. Das war eben nicht nur die Wiederbelebung der alten Alice-Cooper- und Kiss-Geisterbahn. Dieses Skalpell öffnete ohne Rücksicht den Wanst Hollywood-Babylons und legte ein Glanz-undGlamour-Geschwür offen, das am Ende nur aus Perversion, Degeneration und Abgrund bestand. Dass der Arzt dieselben Symptome wie der Patient zeigte, war nur konsequent. Umso giftiger krächzte sein Schrei ins Gesicht von Präsident, Gott und Vaterland.
An diese besten Zeiten erinnert sein neues Album »One Assassination Under God – Chapter 1« sinister und aggressiv, ganz im Geiste alter Groß(übel)taten. Es ist wohl das Interessanteste, was Manson seit 20 Jahren zustande gebracht hat. Aber trotzdem kennt man es besser. Was geschah in der Zwischenzeit? Ein Dämon von allen bösen Geistern verlassen?
Marilyn Manson ging wohl den Weg allen Poprebellentums, geradewegs in Richtung Mainstream. Er transformierte sich vom Außenseiter zum angesehenen Künstler, der sogar gute Bilder malen kann. Im großen Kasperltheater ist er zwar immer noch das Krokodil, aber das hat ja auch seinen festen Platz. Zumindest für Kenner der Materie klangen da auch die letzten sechs Alben unangenehm bequem. Freier und ausgefallener Sex, Showbiz-, Konsum- und Staatskritik – das alles erzeugt keinen Gegenwind mehr in der Popwelt, sondern gehört zum guten Ton. Und Gott ist sowieso ganz weit weg vom Business.
Halt, da war doch noch was! 2021 kamen plötzlich Missbrauchsvorwürfe über den Antihelden, in die Welt gesetzt von dessen Exfrau Evan Rachel Woods via Instagram. Drei weitere Frauen schlossen sich an, eine davon sprang wieder ab. Ist der Künstler nun ein Verbrecher, ein Arschloch in legalem Rahmen oder keines von beidem? Das Gericht hat vor kurzem jedenfalls zu Gunsten Mansons entschieden. Die Frage, ob der Künstler heute für mehr Entsetzen sorgt als seine Kunst, steht trotzdem weiter im Raum. Wo darf man genießen, wenn die Grenzen zwischen Künstler, Kunstfigur und Kunst immer unklarer werden? Sollten auch Rebellen unangreifbar sein? Und was ist eigentlich dieser Mainstream und gibt es nur einen davon? Da wird auch Manson wieder interessant, egal wann er sein letztes Glanzstück hingelegt hat. Schließen wir mit den Worten des Meisters aus dem Jahre 1998 nach Christus: »Rock is deader than dead. And shock is all in your head«. ||
MARILYN MANSON
Zenith | Lilienthalallee 29 | 13. Feb. | 20 Uhr | Tickets: Abendkasse | Website
Weitere Vorberichte und Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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