In »Heretic« macht Hugh Grant sein Image als Romantic-Comedy-Liebling zur Fassade des wohl unterhaltsamsten Horrorschurken des Jahres.
Heretic
Devil in Disguise
In einem Film, der schon die Ketzerei im Titel vor sich herträgt, wird vermutlich kein Weihnachtswunder stecken. »Nomen est omen«, würde man wohl küchenpsychologisch argumentieren, was draufsteht, ist auch drin. Es ist also mindestens Ironie des Schicksals (oder einer Marketingabteilung), dass die Horrorkomödie »Heretic« ausgerechnet am 25. Dezember in die Kinos kommt.
So weit, so offensichtlich. Doch wer im Film des amerikanischen Regieduos Scott Beck und Bryan Woods Ketzerei betreibt, ist gar nicht so einfach zu sagen, und das hat viel mit dem Hauptdarsteller Hugh Grant zu tun. Genauer gesagt: mit dem Image, das dem Briten seit Mitte der 1990er Jahre anhaftet. Es ist das Bild des zerzaust-liebenswürdigen Herzensbrechers, der sich beizeiten um Kopf und Kragen redet. Trotz der oft egoistischen Kapriolen dieser Figuren verzeihen die Angebeteten ihnen ein ums andere Mal: Als notorischer Single stammelte Grant sich durch »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« (1994), mogelte sich in »About A Boy« (2002) in eine Selbsthilfegruppe für Alleinerziehende, um dankbare One-Night-Stands klarzumachen, und tanzte in »Tatsächlich … Liebe« (2003) als Premierminister selbstvergessen zu »Jump (for my Love)« durch die Downing Street.
All diese Figuren haben eines gemeinsam: den entschuldigenden und treudoofen Blick, dem man nicht lange böse sein kann. Dieser machte dann auch Grants Paraderolle in der Filmreihe um Bridget Jones zum schillernden Hallodri, der seit nun fast einem Vierteljahrhundert gekonnt auf der unscharfen Trennlinie zwischen frauenverachtendem Ekelpaket und Charmeur tänzelt. Rückblickend kann man wohl sagen: Daniel Cleaver war die wandelnde Red Flag für toxische Beziehungen, als es noch keinen Begriff dafür gab – vermutlich nicht trotz, sondern auch wegen Grants Image als liebenswürdigem Zausel.
Seit »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« sind 30 Jahre vergangen, und Grant ist mittlerweile 64 Jahre alt. Wie bei vielen seiner Kollegen verlief der Übergang vom Schönling zum »Silver Fox« recht unkompliziert, da haben es seine weiblichen Kolleginnen meist schwerer. Die jugendliche Zerzaustheit ist einer vornehmen Zerknittertheit gewichen. Der können auch ein monströses Kassengestell und eine karierte Grobstrickjacke in allen Farben der Beigeskala kaum etwas anhaben, die er als Mr. Reed in »Heretic« nun trägt. Sie wirken sogar wie Koketterie, die Mut zur Hässlichkeit zu rufen scheint, innerlich wie äußerlich. Es ist kein Geheimnis mehr, dass Grant hier einen teuflischen Bösewicht spielt. Sein liebenswertes Image ist die perfekte Fassade.
Mit dem charakteristischen Hundeblick und dem schiefen Lächeln öffnet er nun also auch als Mr. Reed die Türe. An die haben zwei junge Frauen geklopft: Schwester Barnes und Schwester Paxton, mormonische Missionarinnen, die ihn als Spender für ihre Kirche gewinnen wollen. Mr. Reed scheint interessiert und bittet sie herein. Die beiden können nicht um das Image des Schauspielers wissen, der diesen Mr. Reed verkörpert. Einkalkuliert ist es natürlich trotzdem.
Wie viele ihrer Vorgängerinnen lassen sie sich auf das Grant-Lächeln ein und entschuldigen sich beinahe für die Frage, ob seine Ehefrau da sei. Als Mormoninnen dürften sie nicht alleine mit einem fremden Mann sein, erklären sie. Sie wechseln einen verunsicherten Blick, scheinen die Bedenken einvernehmlich wegzuwischen und setzen sich entgegen der Regel trotzdem auf die plüschige Couch. Wer würde diesem Charmeur etwas Böses unterstellen? Eben. Seine Frau sei gerade noch in der Küche, komme aber gleich dazu, lügt Mr. Reed die Missionarinnen an. Gekauft.
Beck und Woods machen eine regelrechte Show daraus, dass Mr. Reed nur den zerstreuten, aber gutmütigen Gentleman spielt, und Grant hat ganz offensichtlich Spaß daran, sein Image gegen sich selbst zu wenden. Rückblickend nennt er diesen Figurentypus »Mr. Stuttery Blinky« und glaubt, dass er an der Zuschreibung selbst schuld sei: Nach »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« habe er den Fehler begangen, auch in Interviews diese Rolle des unsicher Blinzelnden und Stotternden zu spielen, weil er das Gefühl hatte, dass dies von ihm erwartet wurde. »Nomen est omen« funktioniert also auch andersherum. Küchenpsychologisch würde diese Wechselwirkung womöglich unter »nominativen Determinismus« fallen: Menschen tendieren zu Berufen, die ihren Namen entsprechen: Herr Bäcker, Herr Schneider und Frau Schmied sind natürlich eindeutiger als Mr. Stuttery Blinky.
Gegen die Festlegung auf diesen Figurentypus kam Grant lange nicht an. Zwar zeigte er immer wieder in anderen Rollen seine immense schauspielerische Bandbreite, etwa in »Cloud Atlas« (2012), in dem er gleich sechs Figuren übernahm, eine verabscheuungswürdiger als die andere. Für Guy Ritchie spielte er einen schmierigen Privatdetektiv (»The Gentlemen«, 2019) und in der Serie »The Undoing« (2020) einen des Mordes verdächtigen Saubermann, bei dem bis zum Schluss nicht klar ist, ob er blufft.
Die Außenwahrnehmung wandelt sich erst, seitdem er sich eine schwarzhumorige und oft brüske öffentliche Persona zugelegt hat. Achtung, küchenpsychologischer Wortwitz: Der grantige Mr. Grant ist ein unberechenbarer PRAlbtraum, der sich sämtlichen Hollywood-Gepflogenheiten schlagfertig, selbstironisch und störrisch widersetzt. Auf roten Teppichen antwortet er auf die Frage, was er heute trage, einfach nur »meinen Anzug«, statt das Modelabel zu nennen, sinniert darüber, welche Co-Stars ihn nach der Zusammenarbeit vermutlich hassen (Drew Barrymore und Kate Winslet) und zählt in Interviews gerne auf, was ihn im Alltag auf die Palme bringt. Die Liste ist lang: Menschen, die langsam gehen, Menschen mit Rucksäcken, Rucksäcke mit Wasserflaschen darin, Wasserflaschen an sich, Laubbläser und Baustellen. Das Münchner Grantlerherz frohlockt bei solchen Tiraden.
In »Heretic« führt Grant nun diese beiden Kunstfiguren zusammen: Wie ein böser Zwilling seiner früheren Rollen redet er sich in Rage. Diesmal stehen allerdings Kopf und Kragen seiner Opfer auf dem Spiel. Worüber Mr. Reed palavert? Das ist zum Glück beinahe egal, denn Hugh Grant könnte vermutlich aus dem Telefonbuch vorlesen und wäre noch unterhaltsam. So viel sei verraten: Er verwickelt die Missionarinnen in ein Debattierduell über die Weltreligionen als Werte- und Kontrollsystem. Als sie die Notbremse ziehen und dem religiösen Dilemma entfliehen wollen, ist es bereits zu spät und sein plüschiges Haus entpuppt sich als eine Mischung aus metaphysischer Bibliothek und Horrorlabyrinth.
Argumentativ franst der Film ziemlich aus und wird visuell zum banalen Horrorgemetzel. Das ist einerseits schade, denn die psychothrillerhaften Hannibal-Lecter-Vibes würde Grants Spiel hergeben. Seiner Performance tun die schwächeren Monologe letztlich keinen Abbruch, siehe Telefonbuch. Damit ist auch die Frage nach dem Ketzer in diesem Film beantwortet: Der philosophische Schlagabtausch ist letztlich nur die Bühne, auf der Hugh Grant sein Image selbstironisch neu erfindet und gegen die Zuschauererwartungen richtet. Er nennt diese Phase seiner Karriere die Freak-Show-Ära, und das lässt natürlich nicht nur die Herzen aller Küchenpsychologen höher schlagen. ||
HERETIC
USA 2024 | Drehbuch und Regie: Scott Beck, Bryan Woods | Mit: Mit Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East, Topher Grace | 110 Minuten | Kinostart: 25. Dezember | Website
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