Christian Stückl bringt Daniel Kehlmanns Roman »Lichtspiel« auf die Bühne des Volkstheaters.

Lichtspiel

Für die Karriere verkauft

lichtspiel

Nina Noé Stehlin als Leni Riefenstahl und Silas Breiding als G. W. Pabst | © Arno Declair

Macht sich ein Künstler schuldig, der seine Kunst in den Mittelpunkt stellt und sich dabei von einem verbrecherischen Regime unterstützen lässt? Wo wird die Arbeit zur Tat, selbst wenn kein Überzeugungstäter am Werk ist? Welche »Not« rechtfertigt womöglich einen Tanz mit dem Teufel? Fragen, die den Autor Daniel Kehlmann in seinem neuen Roman »Lichtspiel« umtreiben, der nun von Christian Stückl in eigener Bearbeitung am Münchner Volkstheater uraufgeführt wurde.

Mit einer etwas unübersichtlichen Mischungaus historischen und erfundenen Figuren und Details zoomt Kehlmann mitten hinein in die zweite Karriere des Filmregisseurs Georg Wilhelm (G. W.) Pabst in Nazideutschland. Nach Erfolgen in den 1920er Jahren mit Stummfilmen wie »Die freudlose Gasse« mit Greta Garbo, »Die Büchse der Pandora« mit Louise Brooks oder 1930 dem Antikriegsfilm »Westfront 1918« emigriert der für seine Schauspielerführung und geniale Schnitttechnik gefeierte »rote Pabst« bereits 1933 in die USA, wo er allerdings wie manch anderer Exilant nicht richtig Fuß fassen kann. Nach einem Flop aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen in Hollywoods autoritärem Studiosystem kehrt Pabst 1939 zunächst wegen seiner kranken Mutter nach Österreich zurück, wo ihn der Beginn des Zweiten Weltkriegs überrascht. Die Grenzen sind dicht, und plötzlich erscheint das bereits in den USA an ihn herangetragene Angebot Goebbels, unter besten Konditionen Unterhaltungsfilme zu drehen, nicht mehr so abwegig: Eine Gratwanderung des Gewissens beginnt, bei der der Absturz vorprogrammiert ist. Vom historisch verbürgten Einsatz als Regieberater bei Leni Riefenstahls Schmachtfetzen »Tiefland«, bei dem Gefangene aus dem Zwangslager Maxglan als Statisten mitwirken mussten, spinnt Kehlmann seinen Roman weiter bis zur nicht belegten Zwangsrekrutierung von KZ-Insassen für den Film »Der Fall Molander«, den Pabst 1945 in den Barrandow-Ateliers in Prag drehte und der seither als verschollen gilt.

Auch Christian Stückl geht in seiner Inszenierung vor allem der Frage nach der Verantwortung des Künstlers nach. Wie in einem unaufgeräumten Archiv stapeln sich auf Stefan Hageneiers Bühne Filmrollen rund um einen zentral positionierten Projektor. Das Eintauchen in die Vergangenheit vollzieht sich stufenweise, vermittelt über zwei Kommentatoren: Jawad Rajpoot als Journalist und Sohn eines der jüdischen Statisten von damals sowie Nils Karsten, der sich in der Anfangsszene vom alten Mann in seine Jugend als (fiktiver) Assistent und glühender Bewunderer von Pabst zurückverwandelt. Im Hintergrund sind Stummfilmsequenzen, kolorierte Wochenschaubilder und kurz auch einmal die ausgezehrten Sinti und Roma aus Riefenstahls »Tiefland« zu sehen, während Silas Breiding als Pabst großspurigelegant neue Filmideen heraussprudelt.

In der Folge spielt man in bester BiopicManier und durchaus komödiantisch Szenen des Romans: die Begegnung mit dem Bösen, wenn Jan Meeno Jürgens als Goebbels mephistophelisch humpelnd und charmant den berühmten Neuzugang im Reich umgarnt. NinaNoé Stehlin nimmt gekonnt Riefenstahls herrische Allüre aufs Korn, Carolin Hartmann hält als Ehefrau Trude Pabst als Einzige dagegen und ätzt in zunehmend alkoholbedingter Auflösung gegen die so fragwürdig entstandenen »Meisterwerke« ihres Mannes, während Cedric Stern als (erfundener) Sohn Jakob eindrucksvoll die Verwandlung vom überzeugten Hitlerjungen zum
zittrig-gebrochenen Kriegsheimkehrer durchläuft. Dieser durch die Entscheidung seines Vaters zur Rückkehr ins Reich lebenslang Versehrte und die fast zu kurz im Hintergrund gezeigten Gesichter der NS-Opfer im Film lassen den dreistündigen Abend lange nachwirken. ||

LICHTSPIEL
Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | 18., 25., 26. Dez. | 19.30 Uhr

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