Dezember ist die Zeit von Bach und Gospel. Das ist schön und musikalisch absehbar. Es muss aber nicht dabei bleiben. Denn es gibt überraschende Alternativen wie zum Beispiel Erdmöbel, Panzerballett oder Erika Stucky.
Erdmöbel / Panzerballett / Erika Stucky
Schräge Weihnacht
Der Dezember ist eine Zeit der Traditionen. In den Städten werden die Weihnachtsmärkte aufgefaltet, es riecht nach Glühwein, kandierten Früchten und Kräuterbonbons. Später dann, an Heiligabend, folgen die Tage der Verwandtschaft. Großtanten, die mit selbst gebackenen Plätzchen bewaffnet sind. Cousins, die man kaum kennt, weil man sie nur an den Feiertagen trifft. Ritualisierte Besinnlichkeit. Dann die Tage zwischen den Jahren, so ruhig, als würde sich die Welt neu starten. Und zum Jahreswechsel gibt es Feuerwerk, Fondue und »Dinner for One«.
Auch so eine Tradition: die musikalische Berieselung im Advent. In den Einkaufszentren und Supermärkten dudelt »Last Christmas«, Bing Crosby besingt im Radio die weiße Weihnacht. Für gewöhnlich ist es eine eher trostlose Zeit für die Ohren. In den Münchner Spielstätten aber findet man wohltuend Schräges. Es ist Balsam für die vom festtäglichen Einerlei geschundenen Seelen. Da wäre zum Beispiel Erdmöbel. Die Kölner Band verweigert sich sämtlichen Normen des Pop. Mal klingt ihre Musik eingängig, mal ist sie ausufernd. Das Quartett dringt bis in die freakigsten Ecken des Folk vor, verliert dabei aber nicht ihre chansonhafte Leichtigkeit. Auf ihrem letzten Album, »Guten Morgen, Ragazzi« von 2022, dekorierten Erdmöbel ihren Sound mit den üppigen Arrangements des Italopop. Zu Weihnachten haben sie ihre ganz eigene Tradition, jedes Jahr im Dezember veröffentlichen sie ein »Jahresendlied«. 2006 erschien das erste, »Weihnachten ist mir doch egal«, sangen sie da, zur Melodie von »Last Christmas«. Der jüngste Teil dieser Serie heißt »Winterblüher«, es ist ein Duett mit der Berliner Sängerin Cäthe. Ein ruhiges Klavier schmiegt sich an beatlesken Bass, eine erhabene Posaune ertönt. Bossa nova in Zeitlupe. Erdmöbel-Frontmann Markus Berges singt von skelettartigen Bäumen und Fair-Trade-Weihnachtssternen, sein Text zeichnet ein impressionistisches Bildder kalten Jahreszeit. Live präsentieren Erdmöbel ihre Sammlung kitschbefreiter Weihnachtslieder am 20. Dezember im Backstage.
Für ein lauteres Weihnachtsfest sorgen Panzerballett. Denn die Band um den Münchner Gitarristen Jan Zehrfeld spielt Metal, jazzig und technisch anspruchsvoll, aber stets humorvoll. Als hätten sich die virtuosesten Musiker zu einer Gauklertruppe zusammengetan. Auf der Bühne gibt sich Zehrfeld dann als Zirkusdirektor, springt auf und ab, schneidet Grimassen, spricht dadaistischen Nonsens. Es ist die Fassade eines wilden Kerls, der eigentlich ein wilder Denker ist. Denn seine Musik ist ausgetüftelt bis ins Detail, ein Donnergrollen mit System, bei dem jede noch so scheinbar hingerückte Note ihren Sinn hat. Am zweiten Weihnachtsfeiertag spielen Panzerballett im Bergson Kunstkraftwerk in München. Der Name des Programms: »X-Mas Death Jazz«, wie das Album von 2017. Dort wird einem das Klingeling der vergangenen Wochen um die Ohren gehauen. Verzerrte Gitarren zerhackstücken die ausgeleierten Melodien bekannter Weihnachtsklassiker, meist tutet ein Saxofon dissonant dazu, die Rhythmen werden bis zur Unkenntlichkeit verdreht. »Kling, Glöckchen« als fingerfertiger Jazzmetal – Panzerballett machen es möglich. Ein Konzert, das den Kopf freipustet und dabei ordentlich Spaß macht.
Und schließlich gastiert Erika Stucky am 28. Dezember in der Unterfahrt. Ihre Kindheit verbrachte sie in San Francisco, später zog sie mit ihrer Familie nach Oberwallis in der Schweiz. Dort lernte sie das Jodeln und das Akkordeonspielen, sang A-cappellaJazz und stand für Musicals auf der Bühne. Bei ihren Konzerten dreht sie Klassiker von Cole Porter, Carla Bley und Tom Waits durch den Fleischwolf. Und wenn sie selbst komponiert, verzaubert sie mit einer verhexten Ästhetik, verwischt die Grenzen zwischen Avantgarde und Jazz. Stuckys aktuelles Bühnenprogramm heißt »Spacecake«. Unterstützt wird sie vom Schweizer Gitarrenvirtuosen Christy Doran und Jamaaladeen Tacuma, dem langjährigen Bassisten von Ornette Coleman. Das Trio interpretierte bereits Jimi Hendrix neu, jetzt fusionieren sie hippiehafte Improvisationen mit dadaistischen Darbietungen. Bei »Spacecake« bedienen sich Stucky, Doran und Tacuma bei Performancekunst, verkleiden sich, nutzen Alltagsgegenstände als Instrumente. Es ist also mit allem anderen als mit einem herkömmlichen Konzert zu rechnen. Mag sein, dass der Musik-Dezember besonders vorhersehbar ist. Wer aber nach neuer Tradition sucht, für den sind diese drei Konzerte das ideale Programm: Erdmöbel, Panzerballett und Erika Stucky. ||
ERDMÖBEL
Backstage Halle | Reitknechtstr. 6 | 20. Dez. | 20 Uhr |Tickets: 089 54818181 | Website
PANZERBALLETT
Elektra Tonquartier, Bergson Kunstkraftwerk | Am Bergson Kunstkraftwerk 2 | 26. Dez. | 20 Uhr | Tickets: 089 4443480 | Website
STUCKY, DORAN, TACUMA
Jazzclub Unterfahrt | Einsteinstr. 42 | 28. Dez. | 20.30 Uhr | Tickets: 089 4482794 | Website
Weitere Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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