Neue »Carmen«, andere Deutung: Das Gärtnerplatztheater inszeniert den Opernklassiker von George Bizet.

Carmen

Frau ohne Klischees

carmen

Der schwache Don José (Lucian Krasznec), die starke Carmen (Sophie Renner) © Markus Tordik

Fern aller Klischees, die mit dieser Figur verbunden sind, betritt Carmen im schlichten blauen Arbeitskittel die Bühne des Gärtnerplatztheaters, eine von vielen Arbeiterinnen einer Zigarettenfabrik. Doch sticht sie von Anfang an heraus. Diese Frau nimmt sich, was sie will, und ist bereit für diese Freiheit einen hohen Preis zu bezahlen. Und so singt die groß­artige Sophie Rennert ihre berühmte Habanera herausfordernd zwischen den Soldaten in der Kantine einer Kaserne, nüchtern und leidenschaftlich zugleich: »L’amour est un oiseau rebelle« – Carmens Leitmotiv seit der Uraufführung 1875. Hatte damals eine so unkonventionelle Frauenfigur noch schockiert, wurde sie bald zum Vorbild aller Femmes fatales: eine Männerfantasie aus dem Bilderbuch des Patriarchats. Wie kaum eine andere ist George Bizets Oper das Opfer ihres Erfolgs geworden.

Jeder kennt sie und weiß, wie sie auszusehen hat. Gegen diese Aufführungskonventionen anzukommen, ist der Fluch jeder Neuinszenierung, zu hartnäckig ist die Spanien­ und »Zigeuner«­ Romantik der Oper im kollektiven Gedächtnis verankert. Erst in den letzten Jahren wurde die Figur radikal davon befreit und zur feministischen Frontfrau stilisiert, wie zuletzt bei Lotte de Beer an der Wiener Volksoper.

In Herbert Föttingers Inszenierung ist sie weder das eine noch das andere, sondern eine Frau, die gelernt hat, in einer Männerwelt unter schwierigen sozialen Bedingungen ihre Freiheit zu behaupten, auch wenn sie dafür ihr Leben riskiert. Zimperlich weder mit sich noch mit den Männern, kennt sie keine Angst. Sophie Rennert macht das von Anfang an klar: ihre lasziv tänzelnden Bewegungen, ihre Präsenz, ihr leicht und elegant geführter Mezzosopran zeichnen das Porträt einer sehr lebendigen, selbstbestimmten Frau, deren Liebe genüsslich mit dem Feuer spielt, das sie entfacht. Dass es ausgerechnet der einfache baskische Soldat Don José ist, der sich daran verbrennt, ist hier eher Zufall als Schicksal – nur nicht für ihn. Lucian Krasznecs José ist von Anfang an verloren, so sehr er sich mit allen tenoralen Mitteln auch dagegenstemmt. Eine schwere Partie, die hier fast ins Pathologische kippt: Krasznec singt sich förmlich um den Verstand. Retten kann ihn hier niemand, auch seine Jugendfreundin Micaëla nicht, selbst wenn sie, wie meist in dieser Oper, eine Heilige wäre. Ana Mara Labin spielt alles andere als das, sondern eine kühl beobachtende, durchaus rationale Frau, die weiß, dass sie sich zurückhalten muss, um ihren José überhaupt zu erreichen. Entsprechend gebremst sind auch hier die Passionen, die der neue Chefdirigent Rubén Dubrovsky im Orchester zulässt. Da dröhnt kein Schicksalspathos, kein Opernverismus. Bizets Musik ist hier das, was schon Friedrich Nietzsche an ihr rühmte, »leicht, biegsam, präzise«.

Das gilt auch für Herbert Föttingers Regie, die durch psychologisch genaue Personenführung besticht und auch Massenszenen elegant meistert. Historisch verortet er seine Inszenierung im Franco­-Spanien der 1940er­Jahre, was im brutalen Soldatenmilieu des ersten Akts noch einigermaßen aufgeht. Dass aber die Schmuggler im dritten Akt verkappte Widerstandskämpfer sein sollen, erschließt sich erst aus der Lektüre des Programmhefts. Umso besser passt der Stil der Epoche zur Ausstattung, nicht zuletzt dank der stimmigen und ungewohnt dezenten Kostüme Alfred Mayerhofers und dem schlichten, aber effektvollen Bühnenbild von Walter Vogelweider mit seinen an den italienischen Maler Giorgio di Chirico erinnernden Bogenreihen, die sich im letzten Akt bedrohlich zur Stierkampfarena zusammenschieben. Hier triumphiert dann auch Escamillo, dem der junge Bariton Timos Sirlantzis eine ungewohnt lässig erotische Aura verleiht. Und hier schließlich findet auch Carmen ihren banalen Tod: José ersticht sie in einer letzten tödlichen Umarmung von hinten, der einzige Ausweg, sie doch noch zu lieben. Glaubwürdig und ohne Angst vor großen Gefühlen, in leidenschaftlich flirrender Atmosphäre, authentisch, erzählt Föttinger die Geschichte glaubwürdig und spannend zu Ende, obwohl man sie längst schon zu kennen meint. Carmen hat zwar ihr Leben verloren, nicht aber ihre Freiheit. ||

GEORGE BIZET: CARMEN
Gärtnerplatztheater | Gärtnerplatz 3 |22., 30. Nov., 20. Dez. | 19 Uhr | 22. Dez. | 18 Uhr | Tickets: 089 21851960

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