Cécile McLorin Salvant ist die große junge Stimme des Gegenwartsjazz. Und sie begnügt sich selten mit singen.

Cécile McLorin Salvant

Die Schlangenfrau

Cecile McLorin Salvant

Cecile McLorin Salvant | © Karolis Kaminskas

Vor wenigen Monaten erst war Cécile McLorin Salvant mit einem großen Projekt durch Europa unterwegs. Sie hatte sich von Bilder des haitianischen Malers Gerald Fortune inspirieren lassen und unter dem Titel »Ogresse« eine musikalische Fabel rund um eine mythische und furchterregende Menschenfresserin und ihre Läuterung durch die Liebe entwickelt. Es war ein sehr bildhaftes Programm, das auch mit ihren eigenen Wurzeln zu tun hatte. Denn geboren wurde die Sängerin und Allroundkünstlerin in Miami und wuchs dort in akademischer Familie auf. Ihr Vater stammt aus Haiti, die Mutter hat guadeloupisch-französische Vorfahren. Traditionen und Kulturen mischten sich schon in Kindertagen. Man erzählte viel aus unterschiedlichen Quellen, die Vergangenheit war bunt, manchmal rätselhaft, aber in kollektiven Erinnerungen anwesend. Sie etablierte in der jungen Künstlerin eine Vorstellung von Unmittelbarkeit, die sie in ihre eigene Welt integrieren wollte. »Geschichten müssen interessant sein«, erzählt Cécile McLorin Salvant im Interview, »übrigens gerne auch lustig. Ich liebe es, das Publikum zum Lachen zu bringen, und mag Inhalte besonders, die eine Bedeutung für die Menschen haben. Oder Songs, deren Figuren schrill, verletzlich sind, eben nicht aus einer Tradition der Härte heraus, sondern sanfte Leute, auch außerhalb der Regeln, die nicht glauben, sie stünden an der Spitze der Gesellschaft. Ich mag Humor, absurde Stücke, und auch Lieder, an die man manchmal nicht denken möchte, aber auf deren Geschichten man trotzdem mit dem Finger zeigen muss«.

Dazu passt, dass Cécile McLorin Salvant sich ungern auf ein Medium oder einen Stil festlegen will. Klassisch ebenso ausgebildet wie im Jazzfach, studierte sie Politologie und Jura in Frankreich, bevor sie sich auf die Musik konzentrierte und für ihre Alben in kurzer Folge drei Grammys überreicht bekam. Ihre Programme sind oft thematisch geklammert und widmen sich mythischen Figuren, starken Frauen, intensiven Gefühlen. Sie greifen viel auf eigene Texte und Kompositionen zurück und wurzeln in einem dramaturgisch erzählenden Jazzgesang, wie ihn Betty Carter oder Abbey Lincoln entwickelt hatten. Diese Basis ergänzt sie durch Elemente aus Soul und Chanson, Folk und Spoken Word. Man spürt theatralische Impulse im Gesang ebenso wie das Bedürfnis, sich formal nichts vorschreiben zu lassen: »Ich habe Theater schon immer gemocht, überhaupt
das Dramatisieren von Dingen, es ist auch ein Teil von mir. Als junges Mädchen zum Beispiel, wenn ich im Französischunterricht ein Gedicht vortragen sollte, habe ich immer ein Riesending daraus gemacht. Überhaupt liegt das natürlich nahe. Als Sängerin muss ich mit Text umgehen, Worte formen und mich ernsthaft damit beschäftigen, aus den Lyrics die Geschichte herauszuarbeiten. Ich will sie zum Leben erwecken, das ist meine Aufgabe und da hilft mir meine Nähe zum Theater.«

Die Grenzen zwischen den Künsten sind durchlässig und für Cécile McLorin Salvant ist es selbstverständlich, sie auch zu überschreiten. Jazz ist dabei für Cécile McLorin Salvant eher ein Ausgangspunkt, als das Ziel ihrer Kunst: »Ich kann nicht kontrollieren, was mich berührt, ich bin auch nicht nostalgisch. Natürlich kann Jazz inzwischen auf viel Tradition zurückblicken. Das Problem ist heute eher, dass man zur gleichen Zeit sich vor den Vorfahren verbeugt, den musikalischen Großeltern, und doch im selben Atemzug versucht, man selbst zu sein und nach vorne zu blicken. Das ist eine Besonderheit von Jazz, gleichzeitig zurück und nach vorne zu blicken, sich dabei aber nicht irritieren zu lassen, sondern einfach in seinem Sound zu sein.«

Im Rahmen der Jazz Nights, die als bundesweite Konzertreihe im Herbst das erste Vierteljahrhundert feiern, ist sie dafür im kleinen Ensemble mit dem Programm »Mélusine« unterwegs. Pianist Sullivan Fortner hat sie bereits auf mehreren Aufnahmen begleitet, ein traditionsfundierter, humorvoller Modernist. Bassist Yasushi Nakamura und Schlagzeuger Kyle Poole ergänzen das Quartett stilistisch wandelbar, denn es braucht wieder Geschichtenerzähler an allen Instrumenten. Cécile McLorin Salvant singt Französisch, Spanisch, Englisch, Songs aus acht Jahrhunderten, und erzählt eine mittelalterliche Legende, die sie mit urban amerikanischer Gegenwart verknüpft. Im Mittelpunkt steht die Schlangenfrau, die Betrogene, die Rächerin, um die sich die Lieder ranken, mal versöhnlich im Duktus, mal herausfordernd, swingend und melismatisch, karibisch perkussiv und chansonhaft burschikos. Die Sängerin schlüpft in die Rollen, genießt die Worte, die Klänge. Und so glaubt man ihr den Mythos im Klanggewand der Gegenwart. ||

JAZZ NIGHTS: CÉCILE MCLORIN SALVANT QUARTET
Prinzregententheater | Prinzregentenplatz 12 | 22. Oktober | 20 Uhr | Tickets: 089 54818181 | Website

Weitere Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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