Am 2. August wäre James Baldwin 100 Jahre alt geworden. Das Literaturhaus widmet dem großen Schriftsteller einen Abend.
James Baldwin
»I’M NOT YOUR NEGRO«
Der neue Anzug war eigentlich für einen festlichen Anlass bestimmt. Im Frühjahr 1968 tritt der Schriftsteller und Essayist James Baldwin mit seinem Freund Martin Luther King in der New Yorker Carnegie Hall auf: eine Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag des afroamerikanischen Autors W.E.B. DuBois, einem der Hausheiligen der Bürgerrechtsbewegung. Sie selbst sind mittlerweile Schlüsselfiguren der Bewegung – King ihr Gewissen und Gesicht, Baldwin einer ihrer charismatischsten Vordenker. Auf Fotos der Feier hat King seinen Arm beschützend über die Schulter des Freundes gelegt, Baldwin trägt eine weiße Nelke im Knopfloch des neuen Jacketts. Nur zwei Wochen später wird er den Anzug wieder tragen müssen: bei Kings Beerdigung. Am 4. April wird der Pastor einem Attentat zum Opfer fallen und die Bürgerrechtsbewegung endgültig zersplittern. Baldwin erinnert sich 1972 in seinem Essay »Kein Name bleibt ihm weit und breit« an diese turbulente Zeit, die die USA für immer veränderte.
Baldwin, am 2. August 1924 in New York geboren, wuchs in Harlem auf – Armut, Rassismus und Gewalt gegen Afroamerikaner warenin seiner Kindheit an der Tagesordnung, aber auch der religiöse Fanatismus seines Stiefvaters, eines Predigers. In seinem wohl berühmtesten Essay »Nach der Flut das Feuer« (1963) erinnert Baldwin sich an seine Jugend im Ghetto und an den niederschmetternden Sommer Ende der 1940er Jahre, in dem er als 14-Jähriger verstand, dass er sich zwischen Kriminalität und Kirche entscheiden müsse. Andere Optionen sah er für einen afroamerikanischen Homosexuellen nicht Im selbst gewählten Exil in Paris verfasste er ab 1948 erste Romane und Essays: 1953 erschien »Go Tell It on the Mountain« (»Aus dieser Welt«),
1955 »Notes of a Native Son« (»Von einem Sohn dieses Landes«). In seinen sehr persönlichen Essays thematisiert er die »black experience«, das latente Unbehagen in einer von Weißen dominierten Gesellschaft, in der Gewalt gegen »people of colour« immer und überall auftreten kann. Zudem benennt er die Diskriminierung, die er als Homosexueller in den USA erfuhr. Sein autobiografisch inspirierter Roman »Giovannis Zimmer«, ein homosexuelles Liebesdrama, war 1956 ein Aufreger, zählt jedoch heute zu den Klassikern queerer Literatur.
1957 kehrte Baldwin in die USA zurück, um seiner Familie während der Rassenunruhen beizustehen, engagierte sich zunehmend in der Bürgerrechtsbewegung und pflegte Freundschaften zu deren wichtigsten Vertretern: Medgar Evers, Malcolm X und natürlich Martin Luther King. Zahlreiche Künstler und Filmstars gehörten zu seinem Freundeskreis, darunter Marlon Brando, Richard Avedon, Miles Davis und Toni Morrison. Baldwin reiste viel: Istanbul, Frankreich, Los Angeles – Jetset oder Heimatlosigkeit? In selbstreflexiven Gedankenschleifen erörtert er immer wieder die Problematik der Identitätsfindung aus der Unterdrückung heraus und gegen die Zuschreibung der Weißen.
In »Nach der Flut das Feuer« richtet er seinen Blick auch in die Zukunft – in einem Brief an seinen 14-jährigen Neffen beschwört er den Jungen regelrecht: »Alles, was Dein Leben ausmacht und verkörpert, ist bewusst so angelegt, dass Du glauben sollst, was Weiße über Dich sagen. Bitte vergiss nie, dass das, was sie glauben, dass das, was sie tun und Dir zumuten, nicht von Deiner Minderwertigkeit zeugt, sondern von ihrer Unmenschlichkeit und Angst.«
Baldwin war kein Mann der Schnörkel, doch in seine ernsthafte Nüchternheit schleicht sich immer wieder eine zurückhaltende Selbstironie. Dass sein Leben vom Kino geprägt war und deshalb auch vom Bild des weißen Helden, des Cowboys und Gentleman, erzählt er in seiner Essaysammlung »Teufelswerk. Betrachtungen zur Rolle der Farbigen im Film« aus dem Jahr 1976. »The Devil Finds Work« heißt der Band im Original und macht deutlich: Den Afroamerikanern haftete damals wie heute das diffamierende Narrativ des kriminellen Schwarzen an, ein Bürger zweiter Klasse, der nur minderwertige Arbeit verrichten darf.
Kritik zum Dokumentarfilm »I Am Not Your Negro«
Ein schwarzer Filmstar? Lange Zeit nicht zu denken im weißen Hollywood. Beinahe schüchtern berichtet Baldwin davon, wie er sich als Siebenjähriger unsterblich in Joan Crawford verliebte und erst später erkannte, welch soziale Kluft zwischen einer weißen Filmdiva und einem afroamerikanischen Jungen aus Harlem herrschte. Umso unvermittelter muss ihn diese Erkenntnis getroffen und zur scharfen, treffenden Unterscheidung dieser Erfahrungswelten gebracht haben. In seinem vierten Roman »Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort« (1968) lässt er den afroamerikanischen Theaterstar Leo Proudhammer auf seine Karriere zurückblicken und die Bewusstwerdung eines jungen Afroamerikaners in den von der Segregation geprägten USA reflektieren.
So präzise und schmerzlich seine Beobachtungen und Analysen sich auch heute noch lesen, so einnehmend und zugänglich sind Baldwins Bild- und Gefühlswelten. Den Anzug habe er danach nicht mehr tragen wollen, berichtet er in »Kein Name bleibt ihm weit und breit«, eine emotionale Verknüpfung, die er damals auch beiläufig einem Journalisten erzählte. »Ich konnte ihn weder anziehen noch ansehen, ohne an Martin zu denken, an Martins Ende, daran, was er mir und so vielen anderen bedeutet hatte.« Ein ehemaliger Schulfreund las den Artikel und meldete sich darauf bei ihm – ob er ihm den Anzug überlassen würde, sie seien damals ja von ähnlicher Statur gewesen. Die Interaktion führt Baldwin seinen mittlerweile hohen Lebensstandard vor Augen, ein Moment der Selbstkritik, der nicht nur von Baldwins scharfem Verstand, sondern auch von seiner Integrität zeugt: »Er konnte es sich nicht leisten, einen Anzug im Schrank hängen zu haben, den er nicht trug, er konnte es sich nicht leisten, Anzüge wegzuwerfen – er konnte sich, mit anderen Worten, seine vornehme Verzweiflung nicht leisten.« ||
JAMES BALDWIN BEI DTV
Wenn nicht anders angegeben, stammt die Übersetzung von Miriam Mandelkow
NACH DER FLUT DAS FEUER
dtv, 2020 | 128 Seiten | 12 Euro
KEIN NAME BLEIBT IHM WEIT UND BREIT
dtv, 2024 | 272 Seiten | 22 Euro
WIE LANGE, SAG MIR, IST DER ZUG SCHON FORT
Übersetzt von Bettina Abarbanell und Miriam Mandelkow | dtv, 2024 | 624 Seiten | 28 Euro
VON DIESER WELT
dtv, 2019 | 320 Seiten | 13 Euro
VON EINEM SOHN DIESES LANDES
dtv, 2024 | 240 Seiten | 14 Euro
GIOVANNIS ZIMMER
dtv, 2021 | 208 Seiten | 12 Euro
GO TELL IT ON THE MOUNTAIN. EIN JAMES-BALDWIN-ABEND ZUM 100. GEBURTSTAG
Mit Ijoma Mangold und René Aguigah | Moderation: Dr. Mirjam Zadoff | Literaturhaus, Saal (Foyer-Bar ab 18 Uhr) | 24. September | 19 Uhr | Eintritt 16 Euro / 10 Euro
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