Die Gruppe Futur.X installiert im Schwere Reiter ein begehbares Erinnerungsorgan.

Futur.X. rememory

Reise ins Gedächtnislabyrinth

futur.x

Wie speichert der Körper Erinnerung, fragt »Rememory« © Viktoriya Zayika

Bisher gab es das nur in Gießen oder Hildesheim – und nun auch in München! Ein Theaterkollektiv, das sich aus Studierenden des hiesigen Instituts für Theaterwissenschaft gebildet hat und mittlerweile erfolgreich in den wilden Gewässern der freien Szene navigiert. Futur.X (Website) nennen sich die fünf bis sieben Kernmitglieder der Gruppe und kennengelernt haben sie sich während ihres Studiums an der Münchner LMU, dort vor allem beim szenischen Praktikum unter Leitung von Katrin Kazubko auf der Studiobühne. Eine mehrsprachige Inszenierung »Väter und Söhne – Mütter und Töchter« nach Turgenev brachte sie 2018/19 auf Gastspielreisen bis nach St. Petersburg und Kiew. So entstehen Freundschaften, Kollaborationen – und Erinnerungen.

Um die soll es in der neuesten, bereits ganz regulär mit Einzelprojektförderung der Stadt München finanzierten Produktion »rememory« gehen, nachdem mit ersten gemeinsamen Versuchen – »LOsT« (2019) frei nach Thomas Köcks »Klimatrilogie«, »Träume« (2020) auf der Basis von Günter Eichs gleichnamigem Hörspielzyklus und »Kippen« (2022), einer eigenwillig verspielten Vertonung und Vertanzung allgegenwärtiger Unsicherheitsmomente – erfolgreich die Anfangshürden auf dem Weg in die künstlerische Selbstständigkeit genommen wurden.

Jetzt also »rememory«, ein ebenso ungewöhnlicher, wie einleuchtender Zugriff auf eine Grundressource menschlicher Existenz, die zum Glück zwar unerschöpflich, mitunter aber etwas unübersichtlich und schwer zugänglich erscheint. Um eine konsistente Persönlichkeit zu entwickeln, braucht es verlässliche Fixpunkte in der Vergangenheit, prägende Erfahrungen oder Erlebnisse, die man im Idealfall mit anderen teilen kann. Was aber genau sind Erinnerungen? Woraus entstehen sie? Sind sie immer wahr oder verändern sie sich im Laufe des Lebens? Und können sie vielleicht sogar die Besitzer wechseln?

Um die Idee eines partizipativen Erinnerungsarchivs zu konkretisieren, organisierten Futur.X bereits im April im Café Misafir am Gasteig einen ersten Barabend zum Sammeln von Gedächtnispartikeln. Auf den Tischen lagen Spielkarten aus mit Fragen an die teilnehmenden Gäste, die auf ganz unterschiedliche Weise beantwortet werden konnten, aber nicht mussten.

»Uns geht es mehr um das Wie als darum, an was man sich erinnert«, erklärt Paulina Platzer, die Regie führt und gerade in München die Stellung hält, während die anderen Mitglieder der Gruppe, Stefan Ammer, Sophie Gigou, Fiona Grün, Alexandra Paal und Anastasiya Shtemenko, gerade mit dem Flausen-Stipendium in Lübeck schon wieder ein anderes Projekt vorbereiten. »Es müssen überhaupt keine großen Geschichten sein. Damals konnte man auf Zetteln antworten, aber auch sprechend über eine Telefonzelle oder im Dialog mit einer KI, die aus sprachlichen Erinnerungen Bilder generierte. Zum Schluss waren es viel mehr Leute als gedacht, unsere Boxen waren voll und wir ganz überwältigt, dass wir jetzt so viel Material haben.«

Im weiteren Verlauf der Vorbereitungen soll es darum gehen herauszufinden, wie der Körper Erinnerung speichert. Wie gehe ich Wege, an die sich ein anderer erinnert? Wie unterschiedlich erinnern sich alte und junge Menschen? Dazu will Paulina Platzer nach zahlreichen Gesprächen mit Älteren demnächst noch Interviews mit Kindergartenkindern führen, weil die ganz anders sprechen und sich an Früheres erinnern können als Erwachsene.

Während der Proben im August wird dann im Schwere Reiter aus semitransparenten Stoffen ein begehbares Labyrinth entstehen, in dem sich Publikum und Performende frei bewegen können, kein Parcours, der von A nach B zu absolvieren ist, sondern eine Art dezentrales Erinnerungsorgan oder ein Gedächtnispalast, in dem Erinnerungen visuell oder akustisch aufblitzen und wieder verschwinden. Der Videokünstler Georg Gaigl ist gerade dabei, aus den gesammelten Bildern und Texten kurze Filmsequenzen zu destillieren, manches wird der Musiker Quirin Schacherl in Soundspuren übertragen.

»Das Besondere ist, dass das Material möglichst immer von einem Medium ins nächste transportiert wird«, betont Paulina Platzer. Da es keinen festgelegten Weg gibt, wird niemand alles wahrnehmen können, sondern man entscheidet sich spontan und aktiv für bestimmte Pfade, die dann an Knotenpunkten wieder zusammenlaufen und nach circa einer Stunde in eine besondere Transitzone münden. Sicher ist nur, dass am Ende jede*r seine eigenen Erfahrungen als Teil einer kollektiven Erinnerung mit nach Hause nehmen wird. ||

REMEMORY
Schwere Reiter | Dachauer Str. 114 a | 5. Sept. | 20 Uhr | 6., 7. Sept. | 18 und 20 Uhr | Tickets

Weitere Vorberichte und Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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