Gerechtigkeit ist Mdou Moctars Thema. Mit Musik versucht der nigrische Gitarrist, ein wenig davon einzufordern.

Mdou Moctar

Mit drastischen Mitteln

mdou moctar

Mdou Moctar © Ebru Yildiz

Der Titel wirkt wie ein Weckruf. Mit »Funeral for Justice«, also mit der »Beerdigung der Gerechtigkeit« überschreibt Mdou Moctar sein Anfang Mai erschienenes neues Album. Illustriert wird dieses düstere sprachliche Bild von einem Artwork, auf dem wie stets bei Moctars jüngsten Alben die stolze schwarz-weiße Wüstenkrähe prangt. Sie steht für den nigrischen Desert-Blues-Ausnahmegitarristen insbesondere für die Zähigkeit seines Volkes: die lange Zeit nomadisch die Sahara und den Sahel durchstreifenden Tuareg, die heute größtenteils zwischen Niger, Mali und Algerien sesshaft geworden sind. Diesmal jedoch klebt Blut auf dem Gefieder der Krähe, während unter ihr eine Düne aus einem See aus Blut hervorragt, auf der wiederum vier tote Artgenossen um einen blutbeschmierten Sarg liegen.

Es sind drastische Mittel, zu denen Moctar hier greift, um gleichermaßen auf die schwierigen Lebensverhältnisse seines Volkes wie auch auf jene der Bevölkerung im Niger aufmerksam zu machen. Sie transportieren für ihn das, was er in seinen Songtexten in der Tuareg-Sprache Tamasheq nur wenigen gegenüber direkt auszudrücken vermag, was er dafür aber mit einem diesmal besonders forsch nach vorne drängenden Desert-Blues-Sound unterstreicht: die Forderung nach mehr Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit für das seit der Kolonialzeit marginalisierte und in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkte Nomadenvolk der Tuareg, dem neben Moctar selbst auch zahlreiche andere international erfolgreiche Desert-Blues-Bands und Musiker wie Tinariwen, Imarhan oder Bombino angehören. Gerechtigkeit für die Menschen im Niger, denen es bei allem Rohstoffreichtum des Landes seit jeher am Zugang zu Gesundheitsleistungen und Bildung mangelt. Ja, Gerechtigkeit für den afrikanischen Kontinent, der sich bis heute nicht vom Kolonialismus erholt hat.

Moctars Wut ist dabei auch deswegen so groß, weil er sich zeit seines Lebens verkrusteten postkolonialen Strukturen in seiner Heimatregion gegenübersieht, ohne dass es dabei zu nachhaltigen Verbesserungen gekommen wäre. Eine entscheidende Rolle kommt dabei für ihn der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zu, die sich nach der 1960 erfolgten Unabhängigkeit Nigers dort festsetzte, um den eigenen Uranbedarf zu decken – trotz der Errichtung von Militärbasen im Land aber etwa kaum etwas gegen den islamistischen Terror durch Boko Haram unternahm. In »Oh France«, dem Höhepunkt dieses vor Energie nur so strotzenden Albums, macht er seinem Zorn diesbezüglich auf eine Weise Luft, die einem auch ohne Wissen um den politischen Kontext eindrücklich in Erinnerung bleibt. Schraubt er das Tempo und die Intensität des Songs doch mit solch kathartischem Furor hinauf, dass dieser wie ein musikalischer Akt der Austreibung böser Geister wirkt. Tatsächlich hat sich Frankreich nach einem Militärputsch im Juli 2023 noch vor Beendigung der Aufnahmen zu »Funeral for Justice« aus Niger zurückgezogen. Ob sich die Umstände damit langfristig zum Besseren wenden, bleibt dennoch fraglich. Und Mdou Moctar zieht weiter um die Welt, um mit Musik auf das Unrecht hinzuweisen. ||

MDOU MOCTAR
Ampere | Zellstr. 4 | 21. August | 20 Uhr | Tickets: 089 54818181

Weitere Konzertvorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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