Zwei starke Frauen die für Frieden kämpfen: Die Theaterspiele in der Glyptothek zeigen »Lysistrate« von Aristophanes und »Iphigenie auf Tauris« von Goethe.

Lysistrate / Iphigenie auf Tauris

Zwei starke Frauen

lysistrate

»Lyistrate« (v. l.: Roland Schreglmann, Yuri Garate, Beatrice Murmann) | © Astrid Ackermann

Die Damen sind ziemlich betagt: Der Satiriker Aristophanes erfand seine freche Lysistrate im Jahr 411 v. Chr., als der Peloponnesische Krieg schon 20 Jahre dauerte. Sie gründet eine Gewerkschaft der vereinsamten Ehefrauen, die mit einem Sexstreik den Krieg beenden (der historisch noch sieben Jahre weiterging). Iphigenie ist schon rund 700 Jahre früher das erste Opfer des Trojanischen Krieges: Ihr Vater Agamemnon will sie hinrichten lassen, damit die Göttin Diana (die griechische Artemis) guten Wind für seine Kriegsflotte schafft. Diana ist gnädiger als Papa: Sie versetzt das Mädchen in einer Wolke auf die Skythen-Insel Taurus (heute die Krim). Dort nimmt sie der König Thoas als Priesterin in den Dianatempel auf – ganz entgegen seiner Gepflogenheit, jeden Fremden abzuschlachten. Schon Euripides hat um 407 v. Chr. der mythologischen Figur zwei Dramen gewidmet, europäische Dichter nutzten später die antiken Vorlagen für eigene Stücke.

So auch Goethe 1787 in seiner »Iphigenie auf Tauris«, die Sven Schöcker im Innenhof der Glyptothek inszenierte. Er war schon unter Gunnar Petersen, dem Begründer der Theaterspiele, oft als Schauspieler hier dabei, letztes Jahr übernahm er zusammen mit Alex Novak die Leitung und Organisation. Schöcker geht es um das humanistische Ideal der Friedenskämpferin Iphigenie, während Alex Novak sich in seiner »Lysistrate«-Inszenierung (in einer Bearbeitung von Walter Jens) auf die Emanzipation und Selbstständigkeit der aufmüpfigen Titelheldin konzentriert. Die Bühne ist für beide Aufführungen dieselbe: ein breites, flaches Podest an der rechten Hofseite mit drei goldgefassten Stufen (von Jörg Kiefel), neben der hauseigenen Athene-Statue.

Der Name Lysistrate bedeutet im Griechischen »Heeresauflöserin«. Die Protagonistin hat es nach 20 Jahren Krieg satt, dass die Frauen daheim die Arbeit allein machen und die Männer sich im Fronturlaub kurz ins gemachte Bett legen. So stachelt sie die Athenerinnen zur Sexverweigerung auf, wovon die meisten nicht begeistert sind. Beatrice Murmann verkörpert in farbenfroh antikisierender Kleidung (von Sofia Soto Diaz) in Ton und Haltung eine erfahrene, energische und pragmatische Aktivistin, streitlustig und überredungskräftig. Sie denkt subversiv politisch: ohne Geld kein Krieg. Mit ihren Mitkämpferinnen besetzt sie die Burg und erobert den Staatsschatz. Listig gewinnt sie auch die ebenso frustrierten Frauen des feindlichen Sparta für ihre Idee. Da erklingt mal »Grandola, vila morena«, die Hymne der portugiesischen Nelkenrevolution 1974. Der schmale Yuri Garate und der stämmigere Roland Schreglmann spielen in schnellen Wechseln alle übrigen Männer- und Frauenrollen, manchmal nah an der Karikatur. Und Regisseur Novak peppt einiges mit Popmusik und Tanz auf, die Texte sind gelegentlich drastisch – Aristophanes liebte Schweinigeleien. Die Frauen demonstrieren mit Schildern und kräftigen Beats, die Männer betteln ums warme Liebesnest. Nach 80 unterhaltsamen Minuten dürfen unter Zeus-Gedonner die Hoden wieder schwellen – in Form von Luftballons. Ach, wenn der Frieden so leicht zu haben wäre!

Goethes Iphigenie dagegen ist weit weg vom Krieg um Troja und weiß noch nichts von dessen Ausgang. Sie ringt um ihren inneren Frieden – im Konflikt zwischen der Loyalität zum Asylgeber Thoas, der sie heiraten will, und der Sehnsucht nach Heimat und Familie. Die neu angefacht wird durch zwei Fremde aus Griechenland, die sie gegen Thoas’ Befehl vor dem Tod bewahren will. Von ihnen erfährt sie von Trojas Fall und dem Schicksal ihrer Eltern. Und entdeckt in einem ihren Bruder Orest, den die Furien wegen seines Muttermords in den Wahnsinn getrieben haben. Er und sein Freund Pylades planen die Flucht mit Iphigenie, doch sie will Thoas, den sie achtet und respektiert, nicht hintergehen und offenbart ihm alles. Es ist ein Kammerspiel der Enthüllungen und inneren Wandlungen.

Regisseur Sven Schöcker stellt ein Stück Baumstamm mit drei Äxten als Richtblock auf die Bühne, der Tenorsaxofonist Götz Grünberg schafft atmosphärische Interventionen auf der Basis altgriechischer Harmonik. Julia Gröbl ist eine ebenso starke wie hochempfindsame Iphigenie, ihre Gestik und Mimik spiegelt jede Regung wider, der sie die Gefühlsschleuder von Goethes Text aussetzt. Ihre Präsenz trägt den Abend, Alexander Wagner ist ihr als Thoas zwischen Zorn, Enttäuschung und Verzicht ein würdiger Gegenpart. Er spielt auch Pylades, der seinen irren Freund Orest im Griff behalten will. Den zeigt Sebastian Krawczinski als unangenehmen Macho und Gockel, eitel, laut, auftrumpfend, ohne jede Differenzierung des Getriebenseins. Auch Thoas’ Vertrauten Arkas gibt er mit Männlichkeitsgehabe. Ein packender Moment ist der drohende Zweikampf mit Thoas: blankes Schwert gegen »barbarische« Axt. Zum Glück kann Iphigenie den Bruder vom Wahn befreien. Und in einem letzten Gespräch mit Thoas Akzeptanz und Versöhnung erreichen. Schöckers Inszenierung ist spannend, Goethes Idee bleibt leider schöne Utopie. ||

LYSISTRATE / GOETHES IPHIGENIE
Theaterspiele Glyptothek | Königsplatz | bis 14. Sept. (blockweise wechselnd) | 20 Uhr | Termine und Tickets: 089 52304466 (Mo bis Fr 10–12 Uhr) | Wettercheck ab 17 Uhr | Wein und Brot incl.

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