Im Sudetendeutschen Museum wird nicht nur die berühmte Rettungsaktion von Oskar Schindler, sondern auch sein chaotisches Leben veranschaulicht.

Oskar Schindler

Die Listen der Schindlers

oskar schindler

Emilie und Oskar Schindler in ihren guten (Kriegs-)Zeiten | © Privatarchiv Ferrari

Der Schönhengstgau an der böhmisch-mährischen Grenze war bis 1946 die größte deutsche Sprachinsel der Tschechoslowakei. Seine größte Stadt, Zwittau/Svitavy, lag auf mährischem Gebiet. Deren berühmtester Sohn ist, seitdem Steven Spielbergs Film »Schindler’s List« 1993 in die Kinos kam, Oskar Schindler (1908–1974). Ihm widmet das Sudetendeutsche Museum zum 50. Todestag eine Sonderausstellung.

»Er war ein Mann, der die Frauen liebte, er liebte den Wein, er liebte Partys«, zitiert eine Sprechblase Ludwik Feigenbaum, einen der »Schindlerjuden«: Oskar war ein Spieler, ein Spekulant, Motorrad-Rennfahrer, Trinker, Kettenraucher – und ein Held. Gemeinsam mit seiner Frau Emilie rettet er etwa 1200 Juden und Jüdinnen vor der Ermordung.

Nur wenige verbinden das Ehepaar Schindler mit dem Sudetenland, dem von Hitler am 29. September 1938 durch das Münchner Abkommen annektierten Gebiet der Tschechoslowakei. Unbekannt ist auch, dass Oskar seine Rettung nur mit Hilfe seiner Frau durchziehen konnte. »Sie hatte den Mut, SS-Führer wie Hausdiener zu behandeln«, schreibt Schindler über sie. Die tiefreligiöse Emilie ist, so eine These der Kuratoren Raimund Paleczek und Eva Haupt, sein moralischer Kompass.

Den braucht Oskar, der Sch(w)indler dringend: In der achten Klasse fälscht er sein Zeugnis, fliegt also von der Oberrealschule. Die Ausbildung im väterlichen Unternehmen bricht er ab. Er fährt lieber Rennen, doch für erste Plätze reicht es nicht. Seine Fahrschule kann er nicht halten. Mit 20 heiratet er Emilie Pelzl (1907–2001), Tochter eines Großbauern, gegen den Willen seiner und ihrer Eltern. Sesshafter wird er durch »Mili« nicht: Nach Anstellungen als Verkäufer einer Aktiengesellschaft und in einer Bank versucht er sich an einer Geflügelfarm, die er wieder aufgibt. Landleben? Nicht sein Ideal. Emilies Vermögen rinnt ihm durch die Finger, unter anderem für Geliebte wie Aurelie Schlegel, mit der er zwei Kinder hat. Er hat einen vagen Begriff von Eigentum: Einmal kassiert er Versicherungsprämien für seinen Vater, »und dann ist er weiter nach Berlin. Dort hat er das Geld ausgegeben, anstatt es nach Hause zu bringen«, umreißt ihn seine Nichte Gertrud Ferrari im Katalog der Ausstellung.

Oskar ist überzeugter Nationalsozialist, wie sein Eintritt in die »Sudetendeutsche Heimatfront« im Jahr 1935 belegt. Unter ihrem Leiter Konrad Henlein treibt diese Partei, später SdP, Sudetendeutsche Partei, den Anschluss an das Deutsche Reich voran – ideologisch und finanziell aufgerüstet von der NSDAP. Oskar, der ein »vorzüglicher Schauspieler« ist, so der »Schindlerjude« Zeev Nahir, verdient erstmals (un-) anständig viel Geld – beim deutschen Geheimdienst in der Tschechoslowakei, der »Abwehr«. Seine Anstellung als kaufmännischer Leiter der Mährischen Elektrotechnischen AG in Brünn diente als Tarnung. Im Juli 1938 wird er als »Osi« oder »Otto Zeiler« verhaftet. »Man muss Schindler als einen Spion großen und besonders gefährlichen Formates bezeichnen«, stellt das Vernehmungsprotokoll fest. Entsprechend zeigen die Ausstellungsgestalter der Gruppe Gut aus Bozen seine Mugshots und Fingerabdrücke hinter Gittern. Dem Tod wegen Hochverrats entkommt Schindler nur, weil Hitler nach seinem Überfall auf die »Resttschechei« eine Generalamnestie ausspricht. Konsequent tritt er als Mitglied Nr. 6.421.477, Ortsgruppe Zwittau II, der NSDAP bei. Er wird mehr als nur geschäftlicher Nutznießer des Systems: Für den vorgetäuschten Überfall auf den Sender Gleiwitz am 31. August 1939 braucht die Wehrmacht polnische Uniformen. Oskar besorgt sie. Er ist ein politischer Schwerverbrecher zwischen anderen politischen Schwerverbrechern.

Geschäftlich profitiert Schindler vom Einmarsch der Wehrmacht: In Krakau übernimmt er die Treuhänderschaft für die jüdische Emailfabrik »Rekord«. Und fährt Rekordsummen ein. Denn der eigentliche Leiter ist Alfred Bankier, einer der ehemaligen Besitzer. Er sorgt dafür, dass immer mehr Juden in der »Deutsche Emailwarenfabrik« beschäftigt werden. Schindler stellt sie gerne ein, denn er zahlt nur fünf Reichsmark pro Tag und Arbeiter an die SS. Ein Spottbetrag! Auch nutzt Bankier seine Kontakte zum Schwarzmarkt: Der Großteil der Geschirrproduktion wird nicht über die offiziellen Bezugsscheine verkauft. Die Schindlers werden reich.

Doch sehen sie auch, wie mörderisch die SS die Juden behandelt, allen voran Amon Göth, der Leiter des KZ Płaszów. Ein Buch über die Prozessakten gegen diesen Völkermörder liegt in einer Standvitrine. Der Kronzeuge der Anklage, Mietek Pemper, Göths Schreiber, warnt Schindler jeweils vor, wenn die SS Aktionen gegen »seine« Juden oder gegen ihn selbst plant. Drei Mal wird Schindler von SS und Gestapo verhaftet. Denn inzwischen hat er sich besonnen: Statt Bereicherung zählt nun »mit diesen Menschen zu überleben oder im Kampf für dieses Ziel unterzugehen!«. Er baut »seinen« Juden 1943 ein eigenes Lager neben seiner Fabrik. Als die Front heranrückt, verfrachtet er die Fabrik 1944 in die ehemalige Textilfabrik Löw-Beer in Brünnlitz, seiner Heimat, getarnt als Produktionsstätte für Munition. Den Rest dieser Rettung beschreibt Spielbergs Film. Die Ausstellung bebildert ihn mit der »Golleschauer Liste«, einer der acht Listen der Schindlers, die noch nie im Original zu sehen war.

Nach 1945 kommen die Schindlers weder in Deutschland noch in Argentinien zurecht: Eine Pleite folgt der nächsten. Oskar verlässt Emilie 1957. Während er 1962 in Yad Vashem geehrt wird, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1966) und einen päpstlichen Orden (1968) erhält, bleibt sie im Schatten der Geschichte. Straßen, Plätze und Spielbergs Film heißen nach ihm. Dieses einseitige Narrativ unterläuft die Ausstellung, indem sie Emilies Einfluss und Einsatz schildert.

Unter den Exponaten mein Lieblingsobjekt? Der Koffer! Als Schindler 1974 bei einer Herz-OP stirbt, bleibt von ihm nur ein Samsonite-Koffer voller Dokumente auf dem Dachboden einer Geliebten. In den Reproduktionen dieser Papiere dürfen die Besucher stöbern. Bände spricht z. B. das Blatt, auf dem Schindler die Bestechungsmittel an SS und Gestapo, an Polizei und Politik aufzählt: »Natürlich sind in der in Anlage aufgeführten Gesamtsumme viele tausende Zlotys nicht enthalten, die im Laufe der Zeit für kleinere Geschenke und zahllose Entschädigungen, die die Herren SSFührer für kleine Gefälligkeiten forderten, wie z. B. Stoppuhren, Taschenuhren, Fotoapparate, Reitsättel, Schuhe, Stiefelleder, ja in drei Fällen sogar Personenautos und zwar ein BMW Sport, eine Adler-Limousine und ein Mercedes Cabriolet«. Insofern ist diese Ausstellung auch
eine deutliche Warnung vor Korruption in der Politik. ||

OSKAR SCHINDLER – LEBEMANN UND LEBENSRETTER
Sudetendeutsches Museum | Hochstr. 10 | bis 27. Oktober | Di bis So 10–18 Uhr | Eintritt frei | Lesecafé: 2. August, 15 Uhr, Lesung aus Mietek Pemper: »Wie es zu Schindlers Liste kam. Die wahre Geschichte«. Mit Regine Pemper und Viktoria Hertling (Anmeldung bis 31.7.: anmeldung@sudetendeutsches-museum.de) | Der Katalog (267 Seiten, 63 Abb.) kostet 27 Euro | Info und weitere Termine

Weitere Ausstellungsbesprechunge finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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