Wie Bill Gates, Elon Musk und Mark Zuckerberg die Welt retten wollen, erzählt Madame Nielsens Musicalrevue »Very Rich Angels«.

Very Rich Angels

Auf zum Mars!

very rich angels

Elon Musk (Annette Paulmann), Mark Zuckerberg (Elias Krischke) und Bill Gates (Christian Löber) rocken die Welt. Jacob Suske und Madame Nielsen (Hintergrund) spielen mit © Julian Baumann

Wer hätte das gedacht? Die drei sehr reichen Engel sind unglücklich. Weil ihre tiefste Sehnsucht unerfüllt ist. Diese entlockt ihnen Madame Nielsen. Sie ist ein schillerndes Wesen. Geboren 1963 in Dänemark, erklärte sie ihre männliche Identität Claus Beck-Nielsen 2001 für tot, arbeitete als »Beckwerk« weltweit aktivistisch und erstand 2011 als multikünstlerische Madame Nielsen (im Männerkörper) zu neuem Leben. Ihre literarischen und performativen Werke wurden mit zahlreichen Preisen geehrt. Für die Kammerspiele schrieb und komponierte sie erstmals ein Musical, gemeinsam mit Christian Lollike, der die Uraufführung von »Very Rich Angels« inszenierte.

Und steht selbst auf der Bühne: Schon vor Beginn beäugt sie als Oberkellner mit Serviette überm Arm streng die Gäste. Die »Confessional Bar« ist ein abgeranztes 50er-Jahre-Diner, wie von Edward Hopper gemalt (Bühne und Kostüme schuf Katrin Bombe). Auf einer Plastikcouch lümmelt Jelena Kuljić mit Akkordeon, daneben Saxofonist Jakob Suske (er komponierte und arrangierte die Musik). Madame Nielsen am Klavier weckt sie mit tiefstem Tom-Waits-Timbre. Schon lugt Bill Gates herein, zwängt sich mühsam durch die Tür. »Großkopfert« ist hier wortbildlich umgesetzt: Die Mächtigen tragen riesige, naturgetreue Pappmachéköpfe. Was den Darstellern die Sicht sehr erschwert, Stolperer und verlorene Brillen wurden in der Premiere hilfreich von den Kollegen aufgefangen.

»Cheeseburger und Coke«, das kann es nicht gewesen sein, weiß Madame Nielsen bei der Bestellung von Gates und raunt: »Sie haben noch einen tieferen Wunsch.« Ja, er möchte die durch sein Windows versklavten Menschen wieder befreien. Und den Hunger in der Welt beenden durch eine smarte Toilette, die Fäkalien in eine Nahrungspille umwandelt. Christian Löber hat sich fabelhaft Gates’ Körpersprache angeeignet und legt eckig-verklemmt einen herrlichen Step hin. Da wirbelt Elon Musk herein: ADHS-getrieben turnt die großartige Annette Paulmann über Tische und Sitze. Armut kennt Musk aus seiner harten Jugend in Südafrika. Jetzt ist die Welt für seine Ideen zu klein: Auf dem Mars will er eine neue, sozial gerechte Zivilisation gründen. Die Rakete steht bereit. Mitreisende gesucht.

Die beiden haben sich schon ihrer Großköpfe entledigt, als Mark Zuckerberg dazustößt: todunglücklich, weil er Facebook als Plattform des Friedens und der Liebe gedacht hatte. Und jetzt ist es die »Hölle der Hassrede«. Sein neues Metaverse soll Erlösung bringen, er will der Messias sein und hängt sich passgenau wie Jesus ans eingeschwebte Neonkreuz. Elias Krischke (vorher spielte er schon Schlagzeug) kriegt wunderbar die Mischung hin aus gutem Willen, bodenloser Naivität und larmoyantem Selbstmitleid. Madame Nielsen spielt den passenden Song: »What a suffering world« (Louis Armstrong sang »wonderful world«). Unerwartet zieht noch einer seinen Großkopf am Bareingang an: Wladimir Putin. Auch er will doch nur das Beste für alle Menschen, die das unverständlicherweise nicht alle wollen. Ein großer Auftritt für Jelena Kuljić. Mitleiderregend bekennt Putin seine Traumata: Er sei ein guter Mensch, den nur der Kapitalismus in die Arme des Bösen getrieben habe. Doch für die Mitnahme auf den Mars stellen die anderen Bedingungen: Gut, die Ukraine würde Putin aufgeben. Doch als Feminist unter dem queeren Regenbogen zu dienen, geht zu weit. Sollen die anderen ruhig fliegen: »Ich übernehme dann die Erde.«

Soweit die kluge, witzige Kurzanalyse irdischer Visionen, komödiantisch getragen von vier fabelhaften Schauspielern, von Tanz und gemeinsamer Musik. Dann geht’s in Fantasy-Gefilde: Auf dem rot leuchtenden Mars begegnen die hilflos-verwirrten Weltretter zwei dünnen Wesen mit Kegelköpfen und Körperschläuchen (Nielsen und Kuljić). Feinde, Freunde? Wer will was von wem? Sie müssen ganz neu denken. Und haben plötzlich alle dicke Bäuche. Die Zukunft auf dem Mars? Hauptsache, sie endet nicht mit Musks Kapitalismusvision. ||

VERY RICH ANGELS
Kammerspiele | 15., 16., 19., 20. Juli | 20 Uhr | Tickets: 089 23396600

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