Am 1. Mai beginnt das 39. DOK.fest München – ein Blick in das Programm des Dokumentarfilmfestivals mit Leiter Daniel Sponsel.
DOK.fest 2024
Der filmische Bezug zur Wirklichkeit
Manchmal fühlt er sich wie ein Dirigent. Daniel Sponsel ist Leiter des DOK.fest München, eines der größten Dokumentarfilmfestivals in Europa. In diesem Jahr laufen 109 Filme. »Für uns ist das wie ein großes Orchester, das in der Generalprobe noch justiert wird. Denn am Ende ist es wichtig, dass die einzelnen Teile ein stimmiges Gesamtbild abgeben.« Startschuss für die 39. Ausgabe ist am 1. Mai im Deutschen Theater. Sechs Tage danach beginnt die digitale Version. So können Interessierte, die nicht vor Ort sind, die Filme im Stream schauen. Seit Corona ist das DOK.fest ein hybrides Festival.
Nicht alle Filme widmen sich dem gleichen Thema. Trotzdem: »Man merkt an den filmischen Einreichungen schon, wo gesellschaftlich der Schuh drückt«, sagt Sponsel. So handeln zum Beispiel viele Filme von den politischen Problemen unserer Zeit. Fünf davon bilden die Reihe »DOK.focus Democrazy«. Kurt Langbein erzählt in »Projekt Ballhausplatz« etwa von Sebastian Kurz, seinem Aufstieg bei der ÖVP – und wie es dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler gelang, rechtsreaktionäre Politik zu popularisieren. »Fragmente aus der Provinz« beleuchtet die Lage in Südthüringen, wo rechte und multikulturelle Milieus aufeinander treffen. Ebenfalls gezeigt wird der erschütternde »Of Caravan and the Dogs«. Askold Kurov folgt darin dem Blick russischer Journalisten und Aktivisten auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und »Norwegian Democrazy« handelt von der Organisation SIAN (»Stop Islamisation of Norway«), die in Norwegen die Grenzen zwischen demokratischen Konflikten und gefährlichem Extremismus verschwimmen lässt. »Leider ist die Demokratie in Europa ziemlich auf den Hund gekommen«, sagt Sponsel.
Ergänzt wird der Blick aufs politische Europa durch Filme wie »Einhundertundvier«, der vergangenes Jahr den Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts gewann. In Echtzeit berichtet Regisseur Jonathan Schörnig von einer Seenotrettung im Mittelmeer. »Bei Dokumentarfilmen geht es schließlich immer darum, dass sie einen Bezug zur Wirklichkeit haben«, so Sponsel. »Und anders als bei Nachrichten oder Reportagen gibt es bei ihnen eine filmische Ästhetik. Wenn ein Film das schafft, dann bin ich mittendrin. ›Einhundertundvier‹ ist ein Beispiel für einen Film, der genau diese Qualität hat.« Ein weiteres Beispiel ist »Hollywoodgate« von Ibrahim Nash’at. Für ein Jahr hat er eine Gruppe Taliban in Afghanistan begleitet, die auf der Jagd nach vom US-Militär zurückgelassenem Kriegsgerät sind.
Die Reihe »Filmmakers in Exile« rückt Werke von Geflüchteten in den Vordergrund. Besonders erwähnenswert: »Shahid«, eine aberwitzige, spielerische Verschmelzung von Fakt und Fik Die Reihe »Filmmakers in Exile« rückt Werke von Geflüchteten in den Vordergrund. Besonders erwähnenswert: »Shahid«, eine aberwitzige, spielerische Verschmelzung von Fakt und Fiktion. Regisseurin Narges Kalhor lässt sich darin von einer Schauspielerin verkörpern. Diese falsche Kalhor versucht, »Shahid« (deutsch: Märtyrer) aus ihrem Familiennamen zu tilgen. Dabei begegnet sie ihrem Urgroßvater wieder, der einst zum Märtyrer erklärt wurde und sie jetzt von ihrem Vorhaben abbringen möchte. Kalhor ist eine skurrile, fast humorvolle Auseinandersetzung mit ihrem Herkunftsland Iran geglückt.
Aktuelle technische Entwicklungen beleuchtet der Eröffnungsfilm. »Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp« nimmt das Publikum mit in die Welt von Alex Karp. Er steht mit seiner Firma hinter der umstrittenen Software »Gotham«. Einerseits ermöglicht sie Staaten eine umfassende Überwachung ihrer Bürger, andererseits soll sie dem ukrainischen Militär einen entscheidenden Vorteil verschaffen. In »Vom Ende der Endlichkeit« erforschen Hans Block und Moritz Riesewieck die Möglichkeiten von KI. Denn Trauernde nutzen eine Software, um mit digitalen Versionen von Verstorbenen zu reden. »Bei dem Film kann man sich gleichermaßen fragen, ob das die Trauerarbeit leichter macht – oder sie sogar verhindert.« Ein spannendes, großes Thema, sagt Sponsel.
In diesem Jahr werden Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster mit einer Hommage geehrt. Für den Festivalleiter erzählt das Ehepaar sehr menschliche, warmherzige Geschichten: »Ihre Filme sind einzigartig und speziell, weil sie ganz stark von einer intensiven Beziehung zwischen den Filmemachern und den Protagonisten leben. Was sie von den Menschen vor der Kamera bekommen, ist außergewöhnlich.« Und dann gibt Daniel Sponsel noch eine persönliche Empfehlung: »Joana Mallwitz – Momentum«, ein Film über die Dirigentin, die 2023 Leiterin des Konzerthauses Berlin wurde. Das sei »ein tolles Porträt von einer tollen Frau«. Wie passend, dass der Tipp vom Dirigenten des DOK.fest kommt. ||
39. DOK.FEST MÜNCHEN
Im Kino: 1.–12. Mai | Online: 6.–20. Mai | Das gesamte Programm
Weitere Filmtexte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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