Ihre Mode hat eine Message. Das niederländische Designerduo Viktor&Rolf entwirft seit 30 Jahren Kunst, die man tragen kann. Die Kunsthalle würdigt die »Fashion Artists« in einer Retrospektive, die auch eine große Show ist. Bleibt die Frage: Lässt sich der Kapitalismus ernsthaft mit Mode kritisieren?
Viktor&Rolf
Go to Hell, Fashion!
»Fuck yourself« oder »Go to Hell« steht da auf den Abendkleidern. Fein gestickt und appliziert auf Tüll und Seide. Rotzige Meme-Sprüche auf detailreicher Couture-Handarbeit – für die niederländischen Modedesigner Viktor&Rolf passt das zusammen. Ihre Sommerkollektion 2019 mit den applizierten Claims wie »No Photos Please« war nicht nur ein Hit auf Instagram, sondern ein Ausdruck dafür, wie sie ihre Stoffkreationen verstehen: technisch perfekt, aufwendig mit einem Hang zum Surrealismus inszeniert und immer auch ein wenig kritisch mit der Branche.
Bürgerlich heißen sie Viktor Horsting und Rolf Snoeren, sind aber unter dem Label Viktor&Rolf in der Mode- und Kunstwelt bekannt. Die Kleider des niederländischen Duos sind eigentlich Skulpturen – mit Fans von Madonna bis Lady Gaga. Dass ihr Landsmann Roger Diederen die beiden für eine Werkschau in die Münchner Kunsthalle holte, passt in das ambitionierte Cross-over-Programm des agilen Museumschefs und wird sich – wie schon bei Jean Paul Gaultier 2015 und Thierry Mugler 2021 – als Publikumsmagnet erweisen. Zumal die Schau mit multimedialen Effekten und sogar einem Hologramm lockt, gestaltet wieder von Thierry-Maxime Loriot, einem Meister der Inszenierung.
Schon immer spielen Viktor&Rolf gern mit Mode und ihren Ritualen, liefern lieber Kommentare auf die Gegenwart als Fashiontrends. Ihre Kollektionen heißen schon mal »Atomic Bomb«, »Wearable Art«, »Performance of Sculptures« oder »Cutting Edge Couture«, bei der sie den Titel wortwörtlich verstanden und Löcher in die Stoffschichten der Roben schnitten. Seit 30 Jahren sind die beiden 1969 geborenen Männer, die Freunde und Geschäftspartner, aber kein Paar sind, mit ihren Entwürfen erfolgreich. Sie haben aber auch Ballettproduktionen und eine Oper in Szene gesetzt. Kennengelernt haben sich die beiden an der Kunstakademie in Arnheim, wo sie zufällig in einer Klasse landeten. Für einen Wettbewerb im südfranzösischen Hyère entwarfen sie 1993 ihr erstes gemeinsames Projekt und gewannen prompt den Hauptpreis.
Und weil sie keinen Namen für ihr Label hatten, übernahmen sie den, den sie von den Veranstaltern bei der Preisverleihung hörten: »Viktor und Rolf, bitte kommen Sie auf die Bühne« – die schlichten Vornamen wurden zur Marke. Die prestigeträchtige Auszeichnung ebnete ihnen den Weg in die Pariser Modeszene, und sie wagten den Umzug an die Seine.
Sie selbst bezeichnen sich als »Fashion Artists« und unterscheiden sich klar von anderen Modeschöpfern. Sie kombinieren Dinge, die eigentlich nicht zusammengehören. Sie gehen immer über das hinaus, was man sich normalerweise vorstellen kann. Und stellen dabei das Modeideal in Frage. Kein Wunder, dass sie anfangs gern in Kunstmuseen ausstellten, wie ihre Kunstlederpüppchen »L’Hiver de l’Amour« in einer Gruppenschau 1994 im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, die anschließend ans MoMA PS1 nach New York ging. Übrigens zusammen mit Werken von Künstlern wie Carsten Höller und Dominique Gonzalez-Foerster. Heute sind ihre Kreationen in Museen vertreten, die Mode wie Kunst sammeln und präsentieren wie das Metropolitan Museum of Art in New York oder das Musée des Arts décoratifs in Paris.
Die Münchner Ausstellung hat der Kanadier Thierry-Maxime Loriot wie eine Kunstund Modenschau kuratiert. Zu sehen gibt es rund 100 Kreationen aus drei Jahrzehnten. Hinzu kommt eine Auswahl der handgemachten Porzellanpuppen, die jede Saison als Miniversion ausgewählter Entwürfe der Designer erstellt werden. Videos, Skizzen und Fotografien von Andreas Gursky, Inez & Vinoodh oder Ellen von Unwerth erweitern die Show. In Duftspendern kann man sogar die Männer- und Damenparfüms des Duos schnuppern. Der Flakon zu ihrem Dufterstling »Flowerbomb« 2005 erinnert an eine Handgranate. Die Lizenz an der Duftmarke verkauften Viktor&Rolf an den weltgrößten Kosmetikkonzern, seitdem sind sie nicht mehr auf den Verkauf ihrer aufwendigen Mode angewiesen, »Flowerbomb« ist ein Bestseller.
Weil die beiden Kreativen ihre Kleider schon immer als Skulpturen und Statements zu Mode sahen, sind sie nicht immer tragbare Outfits. Wer geht denn schon gern mit einem Kleid auf die Straße, das nicht den Körper umhüllt, sondern neben ihm schwebt. Oder schlüpft in eine Robe, die senkrecht in die Luft ragt, während der Kopf irgendwo hinterm Stoff versteckt ist. Auch der Mantel, der wie eine flauschige Daunenbettdecke aussieht, ist eher etwas für den großen Auftritt als für harte Winter. Anstelle eines Kragens stehen links und rechts vom Kopf aufrecht große Kissen. Inszenierung, auch Selbstinszenierung gehört bei Viktor&Rolf zum Image. In München posierte das Duo in fast identischen Outfits für die Fotografen, so als wären die beiden Künstler eigentlich nur eine Person. Tatsächlich trugen beide dasselbe Brillenmodell von Tom Ford. Für ihre Kollektion »Russian Doll« (1999/2000) agierten die Designer sogar einmal selbst auf dem Laufsteg. In der Schau »Matrjoschka« verwandelten sie das Model Maggie Rizer in eine lebende Puppe, die sich kaum bewegte und auf einer Drehscheibe stehend live eingekleidet wurde. Am Ende trug sie neun Outfits übereinander und war mit 70 Kilogramm Stoff behängt. Ein eigens entwickeltes Hologramm zeigt die Performance in München noch einmal.
Eine Show ist die Ausstellung ohnehin. Es gibt Musikvideos und Bühnenoutfits und natürlich auch Pomp. Immerhin kostet ein Couturekleid von Viktor&Rolf mindestens 50.000 Euro. Der größte Raum der Kunsthalle ist ein verspiegelter Ballsaal mit Kristalllüstern, unter dem sich die feudalen Reifröcke in voluminösen Tüllschichten auf Scheiben drehen, als gäbe Louis XIV ein Fest. 1998 ließen sie in ihrer ersten Laufsteg-Modenschau Models wie klassische Skulpturen posieren. Am Ende lieferte ein Mannequin mit einem weißen Hut und einer Perlenkette eine Performance: Sie zerschmetterte die Kette, die aus Keramik bestand, am Boden – für Viktor&Rolf eine Kritik an der Modeindustrie, die statt Kleidern massenhaft Accessoires vermarktete. Seitdem haben sie über 80 Damenkollektionen realisiert. Heute müssen Privatkunden in ihrem Atelier in Amsterdam einen Termin vereinbaren, um eine Robe zu bestellen. Auch das niederländische Königshaus. Ihr Hochzeitskleid probierte Prinzessin Mabel van Oranje-Nassau, die 2004 den zweiten Sohn der damaligen Königin Beatrix heiratete, im Atelier an. Die Satinrobe mit meterlanger, von Minischleifen übersäter Schleppe ist ein Prunkstück der Ausstellung – die Niederländerin kam zur Eröffnung, auch um an ihren Mann, der 2013 an den Folgen eines Lawinenunfalls starb, zu erinnern.
»Minimalistischen Barock« nennen Viktor&Rolf ihren Stil, das ist, trotz grafischer Silhouetten und opulentem Dekor, ein Widerspruch in sich. Aber einer, der Spaß macht und trotzdem zum Nachdenken anregt. ||
VIKTOR&ROLF. FASHION STATEMENTS
Kunsthalle | Theatinerstr. 8 | bis 6. Oktober täglich 10–20 Uhr | Afterwork (mit Führungen und Musik): jeder 3. Mittwoch des Monats 18.30–22 Uhr | kostenloses Begleitheft für Kinder; der opulente Katalog (Hirmer, 312 S., 250 Abb.) kostet 45 Euro | Führungen und Events
Weitere Ausstellungstipps finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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