Jonathan Glazer erzählt in »The Zone of Interest« in verstörenden und gnadenlos kühlen Bildern vom banalen Alltag des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und seiner Familie.
The Zone of Interest
Idyll des Grauens
Am Anfang stehen die Bilder eines scheinbaren Idylls. Ein Sommertag am Fluss, eine Familie beim Badespaß im Grünen. Vater, Mutter, Kinder. Doch der Ort, an dem »The Zone of Interest« spielt, ist kein idyllischer. Im Gegenteil, es ist der Ort des denkbar größten Grauens, für das Menschen in der Geschichte verantwortlich waren. Die Familie, die hier gezeigt wird, ist die Familie Höß. Der Vater Rudolf (Christian Friedel) ist Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Mitsamt seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und Familie lebt er im von den Nationalsozialisten so bezeichneten »Interessengebiet«, ein grausamer Euphemismus für den 40 Kilometer um das KZ greifenden Radius der polnischen Stadt Oświęcim.
Inmitten dieser Zone steht auch das Haus der Höß’. Wie Frau Höß immer wieder betont, ein Traumhaus. Die Villa, eine wuchtige Betonstruktur, ist umgeben von einem gepflegten Garten, das Ein und Alles der deutschen Mutter, die, wenn Familienbesuch aus dem Reich eintrifft, stolz zur Begehung des Guts einlädt, instand gehalten von einer Schar bedienstete Zwangsarbeiter. Die teilweise jüdischen Arbeitssklaven sind für die Familie dabei so unsichtbar, wie die monströsen Außenmauern des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, an die das Grundstück der Familie angrenzt. Ins Innere des Lagers werden wir Zuschauer im Laufe der Spieldauer des Films keinen Blick werfen. Und dennoch ist der Horror der Vernichtung in den meisten Einstellungen gegenwärtig. Als schwarze Todeswolke, die aus den Schornsteinen der Mordmaschine dringt, in Form von fernen Schüssen, die erklingen und bisweilen auch von einem menschlichen Schrei. Von den Gegebenheiten lassen sich auch die Kinder der Familie nicht beeindrucken, sie blenden alles aus, so wie auch die Alten. Einer der Jungen spielt nachts im Schein einer Taschenlampe mit etwas, das klimpert, man denkt an Murmeln oder derartiges, bis die Kamera offenbart, was dem Kind durch die Finger gleitet – die herausgebrochenen Goldzähne Erwachsener.
Regisseur Jonathan Glazer – der zwischen seinen Spielfilmen gerne mal zehn Jahre oder mehr vergehen lässt, wie zuletzt nach »Under the Skin« –, inszeniert mit »The Zone of Interest« das entrückte Psychogramm einer Täterfamilie in all ihrer entsetzlichen Normalität, ja Banalität. Als Böses der Deutschen stellt sich ihre Fähigkeit zur Simulation von Normalität heraus, angesichts einer Situation, in der nichts wirklich normal ist. Dort, wo die störenden Impulse der Realität (wie etwa die Rufe von Lagerinsassen in der Nacht) sich nicht umgehend wegwischen, aufputzen oder sonst wie verräumen lassen, wie es angesichts sämtlicher Ärgernisse in dem penibel ordentlichen Haushalt der Höß’ fortgesetzt und zwanghaft geschieht, findet eine radikale Verdrängung und Abschottung statt. Das Leiden der anderen, der Juden, besitzt für die Täterfamilie schlicht keine psychische Wirklichkeit. Als die Kinder eines Tages einmal wieder baden gehen, ergießt sich ein Strom aus schwarzer Asche in den Fluss. Die Eltern bringen den Nachwuchs panisch in den Waschraum und schrubben die Kinderhaut unter fast kochend heißem Wasser.
Die streng komponierten Bilder Glazers verstärken den Effekt der gedanklichen Dissoziation der Familienangehörigen. Die Kamera wirkt stets wie eine unbeteiligter Beobachterin, wie das neutrale Auge einer Überwachungskamera. Vor dem Blick der Zuschauer respektive der versteckten Kamera spielt sich im Innern der anhand historischer Zeugnisse nachgebauten Höß’schen Villa eine pervertierte Version der »Big Brother«-Reality ab. Die Familie Höß und der Alltag. Folgerichtig zeigt »The Zone of Interest« die nahende Versetzung des Lagerkommandanten nach Oranienburg als eine Art vulgäres Familiendrama, bei dem Hedwig Höß dem Gatten ihre Entscheidung präsentiert, nicht mit ihm zu ziehen, sondern mit den Kindern zu verbleiben, hier, wo es doch so schön sei, in Auschwitz. Mit der Inszenierung dieses »normalen« Paares gelingt dem Regisseur eine Verunsicherung, die zeigt, dass wir Gegenwärtigen und jene Damaligen uns emotional näher stehen, als uns lieb sein kann. Auch wenn wir die Hauptfigur Rudolf Höß häufig dabei sehen, wie er Türen schließt, die Tür zur Gegenwart lässt »The Zone of Interest« stets einen unheimlichen Spalt weit offen, eine radikal zu verstehende Offenheit.
Die Shoa, so legt der Regisseur in dem unheimlichen Drama nahe, ist keine längst vergangene Zeit, ist nichts, das sich als etwas Abgeschlossenes in Geschichtsbüchern wegschließen lässt. Mit eisiger Präzision erfasst Glazer das geografische und psychische Terrain, das völlig gegenwärtig wirkt. Der Film entwirft eine Bühne und Arena, in der trotz aller Formstrenge nichts ästhetisiert erscheint, alle Schönheit ist aus ihr verbannt. Oft bleiben nur geometrische Rahmen, in denen die Figuren zu stecken scheinen. Nur zweimal im Film lässt Glazer diesen zweckdienlichen Rahmen aufbrechen. Wärmebildartige Aufnahmen zeigen ein Mädchen, das heimlich für Lagerinsassen Obst versteckt – der einzige Akt des Mitgefühls im ganzen Film. Und in die Bilder des Jahres 1943 legen sich an anderer Stelle des Films plötzlich die dokumentarisch anmutenden Bilder eines Putztrupps in der heutigen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Mit großer Akribie widmen sich die Frauen den Ausstellungsräumen, in denen etwa aufgehäuft die Schuhe ermordeter Lagerinsassen zu sehen sind. Eine der Frauen poliert die vor dem Schuhhaufen befindliche Glasscheibe. Anders als das zwanghafte Sauberräumen des Höß-Haushalts haben die Saubermachakte hier die Funktion des Bewahrens und Erhaltens. Die Erinnerung lebendig für die Gegenwart zu halten, das gelingt Jonathan Glazer im filmischen Modus des Leerhaltens und Aussparens. Verstörend an »The Zone of Interest« wirkt nicht die konsequent eingenommene Täterperspektive, sondern die Einsicht, dass viele unter uns in der Lage wären, selbst Taten vom Ausmaß des mechanisierten Massenmordes auszublenden – zugunsten der Bilder eines scheinbar vollendeten Idylls. ||
THE ZONE OF INTEREST
Großbritannien, USA, Polen 2023 | Buch & Regie: Jonathan Glazer | Mit: Christian Friedel, Sandra Hüller, Ralph Herforth, Daniel Holzberg u.a. | 105 Minuten | Kinostart: 29. Februar | Website
Weitere Filmkritiken finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Red Rooms: Kritik zum Film von Pascal Plante
»Bruce und die Sehnsucht nach dem Licht« am Residenztheater
The Inspection: Kritik zum Film von Elegance Bratton
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton