Die Münchner Graphic-Novel-Künstlerin Barbara Yelin hat mit »Emmie Arbel« ein eindrucksvolles Werk über die Begegnung mit einer Holocaustüberlebenden geschaffen.
Emmie Arbel
Von Licht und Schatten
Die Schatten der Vergangenheit sind immer da. Mal schwächer, mal stärker. »Emmie, welche Farbe hat die Erinnerung?«, hat Barbara Yelin die Holocaustüberlebende Emmie Arbel einmal gefragt, 2022 in Tiv’on in Israel. Die Antwort: »Schwarz.« Und so verdunkeln sich auch die Bilder in Barbara Yelins Graphic Novel »Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung«. Wie Wolken schiebt sich das Schwarz über die Seiten, mit düsteren Pinselstrichen übermalt Yelin die gegenwärtigen Szenen,springt aus der Sonne Israels in die Finsternis der Konzentrationslager.
Zwischen Sommer 2019 und April 2023 haben Barbara Yelin und Emmie Arbel sich immer wieder getroffen, in Israel, in Deutschland und in den Niederlanden – und zwischen diesen persönlichen Begegnungen online. Sie haben sich über Emmies Lebenunterhalten und die Orte ihrer Biografie besucht. Denn dieses Buch ist nicht nur eines über die Shoah und die Nazizeit, es ist eines über ein ganzes Leben. Über die Vergangenheit und Emmies Umgang damit, aber auch über alles danach. Über die Pflegefamilien, in denen sie nach dem Krieg landete, weil ihre Eltern nicht überlebt hatten. Über den Umzug nach Israel, ihre Heirat, ihre Kinder und ihren Entschluss, regelmäßig zurück nach Deutschland zu kommen, um ihre Geschichte zu erzählen.
Emmie war viereinhalb, als sie 1942 aus Den Haag zunächst ins KZ-Sammellager Westerbork, anschließend 1944 nach Ravensbrück und 1945 nach Bergen-Belsen deportiert wurde. Ihre Mutter starb wenige Tage vor der Befreiung, Emmie und ihr Bruder saßen bei ihr. Sie hatte keine Kraft mehr, hatte ihr ganzes Essen den Kindern gegeben. Emmie traf ihre Geschwister in Holland, später in Israel wieder. Emmie versuchte zu leben. Sehr viel später machte sie eine Therapie, begann über die Traumata zu sprechen. Die der Konzentrationslager und die, die nach der Befreiung folgten. »Das ist, was ich am stärksten fühle, wenn ich über meine Erinnerungenrede. Erniedrigung«, sagt sie einmal. Es gibt mehr als eine dunkle, schwarze Seite. Im Leben wie im Buch. Doch Barbara Yelin gelingt es, beides zu zeigen, die Gleichzeitigkeit in Worte und Bilder zu fassen: von Gegenwart und Vergangenheit, Trauma und Alltag, Freude und Schmerz. 1995, zum 50. Jahrestag der Befreiung, besuchte Emmie Arbel das erste Mal die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Ravensbrück. Alleine schlich sie sich in eine Baracke, in die Dunkelheit. Beim Rausgehen zündete sie sich eine Zigarette an. »Ich ging rein als freier Mensch …«, steht unter der Zeichnung, »… und kam raus als freier Mensch.« Später hat sie begonnen, Schüler:innen ihre Geschichte zu erzählen.
Auch wenn es schwer ist. Aber: »Solange noch welche von uns leben – jedes Jahr ein bisschen weniger – müssen wir das tun.« Emmie Arbel hat sich nicht nur ins Leben zurück gekämpft, sie hat auch dazu beigetragen, dem Ort des Grauens in einen der Hoffnung zu verwandeln: der Hoffnung, dass sich so etwas nie wiederholt. Eine Hoffnung, die in diesen Tagen angesichts des Krieges im Nahen Osten, des anwachsenden Antisemitismus in Deutschland und der erschreckenden faschistischen Pläne der AfD zu einem aktiven Widerstand anwachsen muss. ||
BARBARA YELIN: EMMIE ARBEL. DIE FARBE DER ERINNERUNG
Reprodukt, 2023 | 192 Seiten | 29 Euro
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