Wolf Haas erhält den Erich Kästner Preis für sein Gesamtwerk. Zeit, dass auch wir den Schöpfer des Brenner entsprechend würdigen.
Wolf Haas
Dem Bierernst ein Bein stellen
Ein im Sessellift tiefgefrorenes amerikanisches Touristenpaar, Hunde und Kinder, Klosterbrüder, kleine Schulbuben und ein Tischfußball, ein Metzger, seine Frau und eine Hendlfabrik, irgendwo passiert immer was. Und der Leser wundert sich in trauter Zweisamkeit mit dem Erzähler über gar nichts mehr, »frage nicht«,sagt die Stimme in den Brenner-Büchern nicht nur einmal, und es geht dem Leser wie dem Ermittler: Man gewöhnt sich schnell an die Ungeheuerlichkeiten des Alltags, die man – »logisch!« – nur in einer extrem verknappten Sprache, oft irgendwelcher Satzteile entledigt und total aufs Wesentliche konzentriert, in den Griff kriegt. Was man für eine reduzierte Kunstsprache halten mag, hat man vielleicht so auch schon am Nebentisch im österreichischen Wirtshaus oder in der Supermarktkassenschlange erlauscht. Aufgeschrieben wird es zum Artefakt. Das Wesentliche ist halt oft dort, wo man es auf den ersten Blick nie vermuten würde. Und gern folgt man der BrennerErkenntnis: »Nicht immer stur geradeaus, sondern auch einmal den schönen Umweg nehmen.« Haas ist ein Meister hemdsärmelighochphilosophischer Schlenkergedanken.
Schon in seinem Debüt »Auferstehung der Toten« sagt der Erzähler über seinen Serienhelden, den schrulligen Privatdetektiv Simon Brenner: »Und seither hat er das Teppichmuster studiert, und, wie soll ich sagen, es ist kein sehr interessantes Muster gewesen.« Das mag für den Teppich gelten, für Haas’ Texte keinesfalls. Im Brenner-Erstling wird das Grundrauschen angelegt, das sich durch alle weiteren Haas-Schriften ziehen wird: »Jetzt einerseits andererseits.« Man ist immer im Jetzt, aber man weiß nie, wo man herauskommt am Ende einer Seite, was auf der nächsten passieren wird (man lernt schnell: irgendwas passiert immer) und man stellt sich gern vor, dass auch Wolf Haas es nicht so genau weiß, sondern einfach dem Brenner oder seinen anderen Protagonisten folgt, wohin es sie auch wehen mag. Meistens von einem Dilemma ins nächste, an eine »Haltebusstelle« mit guter Aura oder ins Seniorenheim, das früher eine Gebärklinik war. Haas ist unberechenbar. Wie die Wolken in seinem Liebesroman »Das Wetter vor 15 Jahren« oder auch typografisch sehr hinreißend in »Verteidigung der Missionarsstellung«, einer vertrackten Geschichte über die Verliebungen eines Mannes, der am Ende mit dem Autor verschmilzt (oder auch nicht).
Sein aktuelles Buch ist ein ebenso schmaler wie gewichtiger Band übers Loslassen und Festhalten: »Eigentum« erzählt von einem Mann, der Wolf Haas heißt und einen sehr lakonischen Abschied von seiner Mutter nimmt: »Vielleicht glaubt mein Unterbewusstes ja doch, dass ich dort, wo meine Mutter jetzt ist, ich weiß nicht genau, wie es da heißt, einmal anrufen und sagen könnte, dass es mir gut geht.« Bei Haas sind es nicht nur die ersten Sätze, mit denen er den Leser angelt, es sind auch die letzten, von denen man sich nicht verabschieden will. »Der Anfang ist immer am leichtesten«, schließt die »Verteidigung der Missionarsstellung« nach einem schwindelerregenden Schlussakkord, »wie bei diesen Zauberklavieren, wo die Tasten ohne Pianisten spielen«.
Lose Verwandtschaft
Dem mäandernden Erfinder schräger Figuren und noch schrägerer Geschichten wurden schon einige wichtige Preise für seine unverwechselbaren Bücher verliehen. Jetzt kommt der mit 5.000 Euro dotierte Erich Kästner Preis dazu, den die Erich Kästner Gesellschaft in unregelmäßigen Abständen an deutschsprachige Autorinnen und Autoren für »hervorragende schriftstellerische Werke mit zeitkritischen Zügen« vergibt, zuletzt u.a. an Felicitas Hoppe, Andreas Steinhöfel, Tomi Ungerer und Loriot. Die Jury beschreibt Wolf Haas als einen Autor, der »in der Brillanz und dem Einfallsreichtum seiner Sprache, seinem souveränen und habituellen Einsatz von Komik und Humor, der Reflexion menschlicher Ängste und Nöte, in der engen Bindung seines Lesepublikums eine weitläufige Verwandtschaft zum Namensgeber dieses Preises zeigt«. Was verbindet Wolf Haas mit Erich Kästner? »Vielleicht eine gewisse Unlust, das Publikum zu langweilen«, sagt Haas. Die nettesten Verwandten sind ja oft die, von denen man am wenigsten weiß. Von Erich Kästner kennt Haas nur die Gedichte, nicht »Drei Männer im Schnee« oder »Fabian. Die Geschichte eines Moralisten«. Warum das so ist? »Weil ich als Kind nicht gelesen habe.« Also auch kein doppeltes Lottchen, kein 35. Mai und kein fliegendes Klassenzimmer. Findet er seine eigenen Bücher lustig? Den Brenner? Die Liebe? Die Familie? »Es gibt keine Absicht, lustig zu sein. Eher den Versuch, dem Bierernst ein Bein zu stellen.« Und was macht er mit dem Preisgeld? »Ich kauf mir ein Buch von Erich Kästner.« ||
ERICH KÄSTNER UND DER HUMOR
Die Preisverleihung an Wolf Haas findet im Rahmen der wissenschaftlichen Tagung über »Kästners Humor: zwischen subjektiver Disposition und objektiver Erfordernis« statt. Zweieinhalb Tage lang beleuchten Experten das Wesen des Humors, das verlorene Lachen, Nonsens, Humor mit Nutzwert, Sarkasmus und Herrenwitze in Kästners Gedichten und in seiner Prosa für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Öffentliche wissenschaftliche Tagung
Leitung: Sven Hanuschek und Gideon Stiening
Internationale Jugendbibliothek in Schloss Blutenburg | 22.–24. Feb. | Eintritt frei
Anmeldung erbeten: anmeldung@ijb.de
Programm
Weitere Texte zum Literatur-Geschehen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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