Beim Brechtfestival in Augsburg spielen die Krisen der Welt eine gewichtige Rolle.

Brechtfestival 2024

Gegen die Hoffnungslosigkeit

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Ali Tekbaş und Gülseven Medar in »Hayat Seni Çok Seviyorum« | © Orcun Kaya

»No Future«, das stand früher neben dem Anarcho-Zeichen auf der Lederjacke. Zumindest wenn man Punk war. In Deutschland herrschte Angst vor Atomkrieg und Umweltzerstörung. Die konservativ-reaktionären Regierungen hier wie in Großbritannien, dem Ursprungsland des Punk, zerstörten jede Hoffnung auf gesellschaftlichen Fortschritt. Und heute? Krieg, Klimakatastrophe, Rechtsradikale überall, aber No Future hieß schon zu Punk-Zeiten: Wenn wir keine Zukunft haben, müssen wir uns selber eine bauen.

Das diesjährige Augsburger Brechtfestival wirft sich mit der Punk-Parole sowie den Mitteln von Kunst, Sport und Pop der Hoffnungslosigkeit entgegen. Und da findet sich im Umfeld von Brecht immer etwas Passendes. Eröffnet wird das Festival am 23. Februar mit einer Produktion vom Staatstheater Augsburg. Bertolt Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder« in der Regie von David Ortmann lässt Parallelen zu Kriegen der Gegenwart aufblitzen. »Wer kann, darf, will sich kümmern?« fragen das inklusive Theater HORA und Helgard Haug von der Performancegruppe Rimini Protokoll in ihrer Adaption von Brechts »Der kaukasische Kreidekreis«. Vordergründig geht es darum, wem das Kind gehört: der Frau, die es geboren hat, oder der, die sich gekümmert hat. Aber eigentlich geht es darum, wem die Welt gehört.

Wie immer sind auch die Augsburger Gruppen Bluespot Productions und theter dabei. Erstere laden ganz im Punk-Gedanken mit »Spiritueller Leerstand – eine Kirche für die Kunst« alle, die mögen, zur Erschaffung einer Do-it-yourself-Ausstellung in der Kirche St. Johannes ein, bei der Erfahrung, Vorkenntnisse oder Talent absolut keine Rolle spielen sollen. Das theter ensemble widmet sich mit »Berti Brecht and the Multiverse of Alienation« den Filterblasen unserer Gesellschaft und untersucht sie in ihrem Sci-Fi-Theatermärchen, als wären es extraterrestrische Paralleluniversen.

Der Blick geht aber nicht nur nach innen. Mit den diktatorischen Regimen in Russland und der Türkei beschäftigen sich zwei Produktionen. Das dokumentarische Theaterstück »Memoria« von Nana Grinstein ist in Russland verboten. Darin geht es um die Zerschlagung der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial International, die Regierungsverbrechen der Stalinzeit aufarbeitete. Die russische Dokumentartheaterregisseurin Anastasia Patlay verknüpft in ihrer neuen Stückversion Interviews, Gerichtsakten und Texte aus der Exilzeit Brechts mit der Fallakte der berühmten Brecht-Schauspielerin Carola Neher, die Stalins »Großem Terror« zum Opfer fiel. Die freie Theatergruppe Moda Sahnesi aus Istanbul gibt in »Hayat Seni Çok Seviyorum« (»Leben, ich liebe dich sehr«)dem seit 30 Jahren ohne Prozess im Gefängnis sitzenden Dichter ›lhan Sami Çomak eine Stimme. Mit seinen Gedichten und Texten über seine Kindheit, seine Verhaftung und die Kraft der Kunst erzählen sie von der nicht enden wollenden Hoffnung auf Gerechtigkeit (in türkischer Sprache).

Partizipieren kann das Publikum in der Organismenrepublik, einem parlamentarischen Gremium mit ungefähr 500 Arten, in dem der Biber einen Antrag auf Staudammbau stellt, und in Brechts Kraftklub. Den etablierte Festivalleiter Julian Warner bereits im letzten Jahr. Beim Augsburger Turnfest kann man mit Rollerdisko, türkischen und bayerischen Tänzen, dem No-Future-Trainingsprogramm oder Straßentischtennis Augsburger Communities kennenlernen. ||

BRECHTFESTIVAL – NO FUTURE
Augsburg | verschiedene Orte | 23. Februar bis 3. März | Programm und Tickets

Weitere Theaterkritiken und -vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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