Seltsam entrückt: David Böschs Inszenierung von Horváths »Glaube Liebe Hoffnung« im Residenztheater.
»Hope« steht in kritzliger Kreideschrift auf der Bühnenwand. Viel mehr als Hoffnung hat Elisabeth nicht, als sie hereinkommt. Die aber möchte sie sich nicht nehmen lassen. Weil sie ohne Wandergewerbeschein gearbeitet hat, muss sie eine Strafe zahlen und versucht ihren Körper an die Anatomie zu verkaufen. Geduldig gebannt schaut sie zu, wie der Präparator mit gruseliger Selbstverständlichkeit an einer Frauenleiche herummetzgert.
In gekonnt inszenierten großen Bildern erzählt David Bösch im Residenztheater die Geschichte von einer, die sich nicht unterkriegen lassen will und dennoch untergeht, die in einer rundum ökonomisierten Ego-Gesellschaft in die Mühlen einer kafkaesken Bürokratie gerät. Um die Erbarmungslosigkeit zu demonstrieren, mit der sie zugrunde gerichtet wird, dafür mochte Bösch nicht auf Horváths »kleinen Totentanz« allein vertrauen. So montiert er eine Szene aus »Geschichten aus dem Wiener Wald« ein, landet seine Elisabeth in einem Strip-Club, von einer brutalen Vaterstimme verhöhnt, und auf dem Strich, wo ihr ein Freier mit Spucke Geldscheine ins Gesicht klebt.
Daneben sehen wir still konzentrierte und wunderbar zarte Momente, wenn sich etwa Elisabeth und der Polizist Alfons (Till Firit) erst scheu, dann übermütig verspielt einander annähern. Mit romantischer Liebe hat das nichts zu tun, und doch darf hier für Augenblicke die Möglichkeit von Glück aufscheinen. Valerie Pachner ist ein schönes Stehaufmädchen, ein tapfer-trotzig zuversichtliches Menschenkind, das sich von einem Strohhalm zum nächsten hangelt, wenngleich es ihr nicht gelingt, Elisabeths Absturz in die Hoffnungslosigkeit in allen Nuancen auszuspielen. Bösch weiß, wie man an die Gefühle der Zuschauer appelliert, dennoch greift der Abend nicht wirklich ans Herz, bleibt man merkwürdig unberührt.
Das liegt nicht zuletzt an den Dissonanzen der Inszenierung, in der fein komponierte neben grob verpolterten und schrill plakativen Szenen stehen, wenn etwa Elisabeths Chefin (Katharina Pichler) sie
drangsaliert oder ein Rollstuhlfahrer auf dem Wohlfahrtsamt herumkreischt. Es ist, als würde dem Regisseur immer wieder die Hand am Tonregler verrutschen.
Am Ende aber rückt er Horváths Stück doch noch kurz nahe zu uns heran. Da schaukelt die Tote auf einer Neonlampe hoch hinauf. »Ich hab kein Glück«, erklärt Alfons angesichts der von ihm auf die Rutschbahn ins Nichts verstoßenen Elisabeth. Die ignorante Selbstbezogenheit dieses Jedermann ist uns allen nur allzu vertraut. Davon können wir uns endlich nicht mehr bequem distanzieren.
GLAUBE LIEBE HOFFNUNG
Residenztheater| 10., 15., 30. Nov.
19.30 Uhr | Tickets: 089 21851940
Residenztheater
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