Die großartige Fotosammlung »This Is Me, This Is You« von Eva Felten widmet sich Bildern von Menschen und ist nun im Museum Brandhorst zu sehen.
This Is Me, This Is You
Schau mich an
Zwei schwarze kleine Jungen auf der Straße in ihrem heruntergekommenen Viertel in New York. Der im Vordergrund posiert, ein wenig schüchtern, lässig, mit herausforderndem Blick, den er direkt auf mich richtet. Der andere Junge bleibt in der Deckung des Hauses, schaut von innen durchs Fenster nach draußen, ist aber dennoch sichtbar, und scheint mich fast ängstlich zu mustern (Evelyn Hofer). Zwei junge Frauen stehen nebeneinander, in völlig gleichen Bikinis, deren asymmetrische Muster optisch Verwirrung stiften. Die beiden schauen skeptisch in die Kamera, unsicher, irritiert (Diane Arbus).
Oder: Eine schwarze Frau in elegantem Kleid und kunstvoller Frisur in einem hübsch gemachten, aber einfachen Zimmer. Wie ein Model posiert sie in der Ecke dieses privaten Wohnzimmers, vermutlich ihr eigenes. Lehnt etwas lasziv an der Wand. Und schaut den Betrachter an, sein Urteil erwartend (Zoe Leonard).
Der besondere Blick all derer, die zufällig und unerwartet von einer Kamera abgelichtet wurden, hat mich in dieser so vielfältigen und überraschend reichen Ausstellung mit Themen wie Macht, Identität, Intimität, in Genres wie Street Photography, konzeptuelles Arbeiten oder wichtige Positionen der Appropriation Art, am stärksten bewegt. In fast allen Porträts lese ich komplexe emotionale Geschichten. Die Gesichter, die Blicke erzählen von Trauer, Enttäuschung, auch vom Stolz der Fotografierten, so unerwartet zum Gegenstand eines Fotos zu werden. Wahrgenommen, aus der Masse herausgehoben werden, für nur einen kurzen Moment, vielleicht dem einzigen im Leben. Sehnsucht danach, in diesem Augenblick, der für immer festgehalten sein wird, besonders und einzigartig auszusehen, alles in diesen einen Moment zu legen, im Blick die Hoffnung, die Träume von etwas anderem, Größeren. Dem Wunsch, aus der realen Situation herauszuwachsen und eine Sekunde lang jemand Bedeutendes zu sein, »this is me« sagen zu können. Das rührt mich zum ersten Mal so sehr, weil es mir in dieser Fülle, wie sie die Ausstellung präsentiert, noch niemals begegnet ist und weil diese Intimität offenbar nur die Fotografie herzustellen vermag. Ich frage mich vor so vielen dieser großartigen Fotos, wer die Abgebildeten sein mögen, was aus ihnen geworden ist, ob der einmalige herausfordernde Blick alles war oder ein erfolgreiches Leben jenseits der Lebenssituation, die das Foto abbildet, in der die Protagonisten oft wie auf ewig gefangen zu sein scheinen, gelang? Ein fragender Blick: Genüge ich? Die leise Poesie, das weit über das Foto Hinausweisende bei Diane Arbus etwa, ist die Stärke fast aller Porträts in dieser spannenden Ausstellung.
Die Frage nach dem Unterschied von »Taking a picture« und »Making a picture« hat mich fasziniert – ich hatte sie mir nie gestellt. Alles oben Beschriebene gilt für »Taking a picture«, das von der Gelegenheit, dem perfekten Moment lebt. »Making a picture«, das ist die Inszenierung, das gezielte Platzieren aller das Bild konstituierenden Elemente, der Personen, der Kleidung, des Ortes, der Requisiten, des Lichts, der Raumkonstellation, der Blicke zwischen den Abgebildeten. Nichts ist dem Zufall überlassen – wie etwa in Tracey Moffats abwechselnd knalligbuntem und schwarz-weißem Szenario mit einer mysteriösen Toten am Ende. Oder in der titelgebenden Arbeit von Roni Horn, einer umfangreichen Serie von Aufnahmen ihrer Nichte Giorgia über mehrere Jahre, in den unterschiedlichsten Situationen und mit immer anderen Gesichtsausdrücken, in denen das junge Mädchen posiert. Auch das erzählt Geschichten, aber die erzählt die Künstlerin, die Fotografin durch ihre Komposition, nicht die Protagonistin. Die dokumentarischen Aufnahmen, etwa der LGBTQIA+-Communities aus den 60ern, lassen mich als Betrachterin eher außen vor, die meisten der abgebildeten Menschen sind mit sich selbst beschäftigt und treten nicht aus dem Bild heraus. Auch die politischdokumentarischen Aufnahmen von Demos und Protesten wirken auf mich wie Zeitungsfotos, sind historisch wie politisch immens aufschlussreich, aber – sie haben kein Geheimnis.
Eine Sammelausstellung aus rund 140 Fotografien von über 60 verschiedenen FotografInnen, wie sie Monika Bayer-Wermuth hier klug kuratiert hat, ist nicht leicht zu rezipieren. Dachte ich jedenfalls zu Beginn meines Rundgangs im Museum Brandhorst. Aber nachdem in den Pressetexten immer wieder davon die Rede war, dass sich Eva Felten beim Sammeln insbesondere auf die Darstellung von Menschen konzentriert habe, tat ich dasselbe und wurde mit reicher Beute belohnt: tief bewegenden intensiven Begegnungen mit Menschen, von den 30er Jahren bis heute, überwiegend Frauen und ins Bild gebannt von den besten FotografInnen der Welt. Unbedingt hingehen! ||
THIS IS ME, THIS IS YOU. DIE EVA FELTEN FOTOSAMMLUNG
Museum Brandhorst | Theresienstr., Ecke Türkenstr. | bis 7. April | Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Führungen: gratis (Ticket 30 Min. vor Beginn): 10./24.2., 16 Uhr (auf Englisch 16.30 Uhr); 1.2., 17 Uhr | After Work Dialoge: 18.1. und 15.2., 18.30 Uhr
Weitere Besprechungen findet ihr in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Witches in Exile: Die Ausstellung im Museum Fünf Kontinente
»Im Labyrinth der Zeiten«: Die Ausstellung des Jüdischen Museums
SüdpART: Die Naturkunst-Biennale im Münchner Südpark
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton