Das Haus der Kunst wagt eine Weltausstellung. Und präsentiert erstmals die globale Moderne 1945 bis 1965 im Dialog verschiedener Perspektiven.
Eine Palette im Haus der Kunst. Kein Malutensil, sondern bedrucktes Papier – eine Speisekarte. Jetzt dämmerts: »das P1« nannte man in den 50er Jahren »die P1«, Palette, eine Bar mit Künstlerflair und dem Untertitel »Das fidele Atelier«. Manhattan und Ohio hießen die Cocktails, Tom und John Collins die Longdrinks. Studieren lässt sich das hübsche Dokument mit seinem weltläufigen gastronomischen Angebot neben einer Studie zum geplanten Umbau (1953) aktuell in der Archiv Galerie, die sich dem Haus der Kunst als Nachkriegsinstitution 1945–1965 widmet. Der Ehrentempel nationalsozialistischer Kunstauffassung diente während der Besatzungszeit als amerikanisches Offizierscasino mit Unterhaltungsprogramm, aber schon 1947 wurde dort auch mit einer Ausstellung französischer Malerei erstmals wieder internationale Kunst der Moderne gezeigt.
Eine »Reeducation«, die in der Folgezeit der Verein Ausstellungsleitung Haus der Kunst München mit hohem Niveau fortführte. Eine Wieder- und Neubegegnung mit der von den Nazis verfemten klassischen Moderne und der zeitgenössischen Kunst: Fotos zeigen, wie Menschen sich der Betrachtung von Henry Moores Plastiken widmen, sogar brasilianische Künstler hielten auf Stellwänden Einzug in die hohen Räume. Es dominierte freilich der europäische, der westalliierte Blick.
Mit der Erinnerung an diese Perspektive, an die damals »moderne« Atmosphäre der Rezeptionshaltung, eignet sich die kleine Archiv-Präsentation gut als Einstieg in die riesige Ausstellung »Postwar«. Die unternimmt an diesem historischen Ort nicht Geringeres als – erstmals – ein Weltpanorama der Nachkriegskunst zu zeigen, Aspekte und Strategien, Dialoge und Interferenzen einer globalen Moderne »zwischen Pazifik und Atlantik« zu konstruieren. Sie fokussiert nicht Länder, sondern navigiert gleichsam entlang und kreuz und quer zwischen den Küstenlinien der Ozeane, lässt sich leiten von der Vielstimmigkeit und Verschlingung der Kunstdiskurse. Auch erstellt sie nicht eine chronologische Anordnung, sondern bündelt unter acht Themengesichtspunkten ihren dezidiert multifokalen Ansatz – und die schier unfassbare Fülle von Exponaten.
Mit der Atombombe beginnt und das nukleare Zeitalter des kalten Krieges bestimmt die 20-jährige Epoche. Als zweiter Aspekt folgen formale Strategien, etwa des abstrakten Expressionismus und des Informel, die um 1950 im Westen zur Weltsprache der Moderne deklariert wurden, oder einer dezidierten Materialästhetik. Abteilung drei und vier befassen sich mit Entwürfen »neuer Menschenbilder« und den Spielarten von (sozialistischem) Realismus. Fünftens gab sich die schon in den 30er Jahren als moderne Weltsprache etablierte geometrisch-abstrakte Kunst nicht geschlagen und verband in Form der »konkreten Kunst« Lateinamerika und Europa. Als bestimmend für den kulturellen Wandel – mit großen Migrationen nach dem Krieg und im postkolonialen Zeitalter – wird sechstens das Phänomen des Kosmopolitismus gesehen, das Crossing von Kulturen, Identitäten und Zeichen. Siebtens soll der Begriff der Nation im Kontext künstlerischen Engagements neu ausgelotet werden. Last but not least geht es um die Rolle der Kunst im Massenkultur- und Kommunikationszeitalter, speziell am Beispiel neuer Technologien und Medien.
Viel Stoff zum Nachdenken. Keine Schau längst kanonisierter Meisterwerke, obwohl sie mit vielen dieser Art aufwartet. Faszinierende Werke auch wenig bekannter Künstler. Man könnte neben der Reflexion der Perspektiven auch einfach einen ausgedehnten Spaziergang unternehmen und dabei frühe Beispiele der Pop Art entdecken. Quersprünge zwischen den Abteilungen lassen die oft rasante Dynamik der Kunstentwicklung nachvollziehen: In Japan setzte sich der Bildhauer Isamo Noguchi mit dem Ereignis Atombombe in Memorial-Entwürfen auseinander, auch indem er ein Land-Art-Projekt als Gedächtnis an den Erden-Menschen aus der Mars-Perspektive konzipierte oder amorphe Schieferformen zu einem fragmentiert-verletzlichen Gebilde zusammenfügte, einem Gleichnis auf den fragilen Zustand der Humanität.
Iri und Toschi Maruki begannen gleichzeitig, um 1950, sich mit ihrem Erlebnis der noch brennenden
Stadt Hiroshima bildnerisch auseinanderzusetzen, und schufen eine Serie »Hiroshima Panels«, die das Grauen und die Qual sich zersetzender Körper im und nach dem Feuersturm zu bannen suchte. Ein Jahrzent später greift in Japan die radikale Performance-Gruppe Hi-Red Center den Coca-Cola-Kapitalismus an. Proteste flammen auf, auch in Form reflexiver Konzeptkunst. Und schon Mitte der 50er hatte die Avantgardistin Tanako Atsuko gegen die vorherrschenden Stile und etablierten Materialien ein performatives Kleid aus Leuchtmitteln gesetzt, gleichsam einen elekrifizierten Kimono, der sich alle zweieinhalb Minuten an- und ausschaltet. ||
POSTWAR: KUNST ZWISCHEN PAZIFIK UND ATLANTIK, 1945-1965
Haus der Kunst| Prinzregentenstr. 1 | bis 26. März 2017| täglich 10–20 Uhr, Do bis 22 Uhr
Der gewichtige Katalog (Prestel, 848 S., 816 Abb.) kostet 69 Euro, der Kurzführer mit Werkbeschreibungen (320 Seiten) 10 Euro | Kuratorisches Gespräch mit Eckhard Gillen und Rasheed Araeen über Ausstellungen zur Nachkriegskunst: 24. Nov., 19 Uhr | Workshop zur Entnazifizierung im Nachkriegsdeutschland: 26. Nov., 11 Uhr | Diskussion mit Georg Baselitz und Alexander Kluge: 8. Dez., 19 Uhr.
Informationen zum Filmprogramm (sonntags 12–20 Uhr), zu Seminarveranstaltungen und Führungen
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