Hans Steinbichler schielt mit seinem Neo-Heimatfilm »Ein ganzes Leben« auf das große Publikum.
Ein ganzes Leben
Von Höhen und Tiefen
»Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wer nie die kummervollen Nächte, auf seinem Bette weinend saß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.« Ohne Johann Wolfgang von Goethes berühmte Zeilen zu kennen, ist der etwa vierjährige Andreas Egger (Ivan Gustafik) zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den höchsten Höhen wie in den stockkonservativen Tälern einer nicht näher genannten archaischen Berglandschaft frühzeitig auf sich gestellt. Als ungeliebtes Waisenkind, das als billige Arbeitskraft für die Landwirtschaft des Kranzstocker-Bauern (Andras Lust) missbraucht und von seinem herzlosen Ziehvater beinahe zum Krüppel geschlagen wird, muss er auf drastische Weise von Beginn an lernen, einstecken zu können, ohne psychisch vor die Hunde zu gehen. Einzig die alte Ahnl (Marianne Sägebrecht) bringt dem meist stummen, niemals wehleidigen Jungen in dessen schlimmsten Stunden etwas Zärtlichkeit entgegen: »Das wächst sich aus. Wie alles im Leben«, bis sie überraschend bei der Küchenarbeit stirbt.
Weitere mühsame Jahre vergehen, ehe sich der inzwischen erwachsene junge Mann (Stefan Gorski) seinem kaltherzigen Vormund nicht nur verbal (Kranzstocker: »Da schau her, der Bankert will dem Bauern widersprechen …« – Andreas: »Wenn du mich schlägst, bring ich dich um!«) in den Weg stellt und in der umliegenden Bauwirtschaft als Tagelöhner anheuert, da gerade die ersten Gondelbahnen aus dem Boden gestampft werden. Ohne Hadern verrichtet er mitunter gefährlichste Arbeiten, während er jeden Groschen eisern spart, bis ihm zum ersten Mal die Liebe in Gestalt einer Naturschönheit namens Marie (Julia Franz Richter) erscheint, die sich in einer Dorfwirtschaft verdingt, was wiederum ihrem Vorgesetzten (Robert Stadlober) sauer aufstößt: »Die Marie ist eine für die Arbeit, nicht die Liebe.« In siewird er sich verlieben, sie kommt bei einem Lawinenunglück ums Leben und Andreas wird als Soldat in den Kaukasus beordert …
Der gebürtige Solothurner Hans Steinbichler (»Hierankl«, »Winterreise«), der im Chiemgau aufwuchs, gilt als Spezialist für emotional aufgeladene Neo-Heimatfilmstoffe, die zwischen Arthouse- und Autorenfilmkonventionen mäandern. Kein Wunder, dass er sich nach »Die zweite Frau« (2008) ein zweites Mal um die Adaption eines Bestsellerromans aus der Feder Robert Seethalers (»Der Trafikant«) bemühte. Für ihn sei Seethalers gleichnamiger Roman, den er für acht Millionen Euro auf die Kinoleinwand hievte, eine »Parabel über das Wesentliche in unserem Leben – Liebe und Zufriedenheit«, was diesen bildgewaltig kadrierten Lebensreigen (Kamera: Armin Franzen) bis zum greisen Andreas (August Zirner) als spirituell grundierte Heldenreise ordentlich zusammenfasst. Freilich ohne große dramaturgische wie narrative Aha-Momente, weil speziell in puncto Musikgestaltung und Casting alles auf ein größeres Publikum schielt. Heimat ist bei Steinbichler immer da, wo es im Leben Schläge gibt, wo sich gewaltige Abgründe auftun und die Liebe nicht unbedingt siegt. Damit bleibt er für die einen ein Seelenwanderer im deutschen Kino. Wer diesen Stil mag, wird glücklich sein. Alle anderen werden seine Version als visuell überfrachtete und bleiern erzählte Bestsellerverfilmung in Erinnerung behalten. ||
EIN GANZES LEBEN
Deutschland 2023 | Regie: Hans Steinbichler | Buch: Ulrich Limmer | Mit: Stefan Gorski, August Zirner, Ivan Gustafik, Julia Franz Richter u.a. | 115 Minuten | Kinostart: 9. November | Website
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