Der lang erwartete neue Roman »Der eiserne Marquis« von Thomas Willmann beschäftigt sich mit der Hybris des Menschen.
Der eiserne Marquis
Weltenschöpfer
Ein Buch in einer Kunstsprache verfasst, so dick, dass es als Waffe eingesetzt werden könnte, ein Buch, das sich nicht um Achtsamkeit, das Singleleben in der Großstadt oder Identitätskrisen dreht. Das ist gewagt. Es ist der deutschen Gegenwartsliteratur und ihrem eingeübten Publikum gegenüber geradezu frech.
Doch wer, wenn nicht das Münchner Unikat Thomas Willmann könnte ein solches Opus schaffen? Willmann hat sich noch nie darum gekümmert, was der Markt angeblichvorgibt oder was man dem Leser zumuten kann. Ihn interessiert nur das Werk. Er ist einer der wenigen deutschen Autoren, die unbeirrt von Zeitgeist und Moden schreiben, die nur für die Sache und Sprache brennen und ihr Sujet geradezu manisch erfassen wollen, bevor es geteilt wird. Heraus kommen Welten, die einen mündigen Leser verlangen.
Damit hatte Willmann mit seinem Erstling »Das finstere Tal« einen überraschenden Erfolg bei Kritik und Publikum erzielt und an diesen knüpft sein Zweitling nun voraussichtlich an. Fast dreizehn Jahre sind seit seinem Debüt vergangen, und in dieser Zeit sind aufgrund eines Schwures nicht nur Bart und Kopfhaar des Autors gewachsen, sondern auch seine kreativen Fähigkeiten und sein künstlerischer Atem. Mit »Der eiserne Marquis« liegt uns nun das Opus Magnum des Autors vor.
Willmann versetzt uns nach Wien und Paris in die Zentren der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Beamt uns förmlich in eine Zeit, in der mit Vaucanson die Geschichte der mechanischen Automaten einen ihrer ersten grandiosen Höhepunkte erreichte. Die altertümelnde, dem Schriftdeutsch des 18. Jahrhunderts nachempfundene Sprache schafft dabei nur anfänglich eine Barriere. Bald unterstützt sie das Gefühl des Lesers, in eine andere Matrix versetzt worden zu sein, in der jedes Detail vom Kostüm bis hin zur Beleuchtung stimmt. Dabei geht es um nichts weniger als alles oder nichts. Um den dringlichsten Wunsch des Menschen, den Wunsch, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, das Leben zu ergründen, um es dann zu verlängern. Um den Menschen als genialen Schöpfer, der mit Geistesstärke vermeintlich alles »er« schaffen kann und dann eben doch der Endlichkeit des Lebens nichts entgegenzusetzen hat.
Der Autor, der, wie er sagt, beim Anlegen seiner Figuren oft zwischen Exorzismus und Identifikation schwankt, hat mit dem Ich-Erzähler Jakob einen Charakter geschaffen, der eher abstößt, als Sympathien zu erwecken. Jakob, begnadeter Uhrmacher, der mit Hilfe der weitreichenden anatomischen und physikalischen Erkenntnisse seiner Zeit einen zumindest in Teilen mechanischen Menschen erschaffen will, gesteht schon im Prolog, dass er zweifacher Mörder ist. Und auch der Namensgeber des Buches, der Marquis mit dem eisernen Arm, genialischer Forscher und abhängig von Jakobs Künsten, ist ein mehr als zwielichtiger, ein exzessiver Charakter. Das Buch treibt einen förmlich vorwärts zum orgiastischen Finale hin. Hier bündelt sich noch einmal die ganze Vorstellungskraft des Autors, und fast schwindelig legt man nach der Lektüre das Buch zur Seite. »Der eiserne Marquis« ist ein Monolith auf dem derzeitigen Buchmarkt, der durchaus auch für ungeübte Leser geeignet ist, so sie denn ein wenig Belastbarkeit mitbringen. Ein Buch wie eine Waffe! ||
THOMAS WILLMANN: DER EISERNE MARQUIS
Liebeskind, 2023 | 928 Seiten | 36 Euro
LESUNG
CoLibris | Leonrodstr.19 | 26.10. | 20 Uhr
Reservierung und Vorverkauf: T. 089 169326, E-Mail: colibris-m@t-online.de | Eintritt: 12 Euro
Weitere Buchkritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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