Miriam Ibrahims poetischer Abend »Blues in Schwarz Weiß« über die afrodeutsche Lyrikerin May Ayim hätte etwas mehr Direktheit vertragen.
May Ayim »Blues in Schwarz Weiß«
Über die Augen (dann doch nicht) ins Herz
Alles beginnt mit den Augen, mit erwartungsfrohen und schließlich enttäuschten Blicken. Patrick Bimazubute und Isabell Antonia Höckel nageln mit ihnen einzelne Zuschauer*innen fest und schicken sie anschließend in die Weite hinter unseren Köpfen auf die Suche. Immer hektischer werden die beiden dabei. Was könnten sie verloren haben? Oder noch nicht gefunden?
Es geht um die eigenen Wurzeln, um Liebe, Sehnsucht, Einsamkeit, Rassismus und Ausgrenzungserfahrungen in den wortverspielten, pointierten bis metaphorischen Texten von May Ayim und einigen wenigen der Kölner Autorin Julienne De Muirier, die die Regisseurin Miriam Ibrahim in »blues in schwarz weiß« zu einer Collage zusammengefügt hat. Deren Teile berühren einander kaum, wohl damit man gut mit dem Wissen über afrodeutschen Feminismus oder eigenen Erfahrungen dazwischenkommt. Ohne solide Vorinformationen dagegen verliert sich die Konzentration zwischen den 16 wurzel- und kronenlosen Birkenstämmen, die Nicole Marianna Wytyczak auf die Marstallbühne gestellt hat, und der rückwärtigen Projektionsfläche, auf der Amon Ritz Schatten, Muster und Livekamerabilder mischt. Indessen findet das Ohr Halt an kolossalen biografischen – »meine (Vormundschafts-)Akte wusste mehr über mich als ich« – und historischen Ereignissen: dem unvergessenen Mord an Amadeu Antonio 1990 in Eberswalde, während die Polizei wegsah, der Feier des Kolumbus-Tages – unterschiedliche Auswüchse einer »weißen« Perspektive auf die Welt.
Das famose Schauspieler*innenduo hat sich emotional tief in Ayims Texte hineingegraben, die beißende Kritik an der deutschen Mehrheitsgesellschaft der Siebziger- bis Neunzigerjahre üben, in der sie immer das »Mischlingskind« blieb. Die Lyrikerin, Pädagogin und Aktivistin wurde 1960 in Hamburg als Kind einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters geboren und zu einer weißen Pflegefamilie gegeben, mit der sie später den Kontakt abbrach. Als eine der ersten Autorinnen, die schwarzen Frauen in Deutschland eine Stimme gab, gilt Ayim, die sich 1996 mit nur 36 Jahren das Leben nahm, heute als prägende Figur für die afrodeutsche Literatur. Dass ihre eindringlichen Texte ein breiteres Publikum verdienen, zeigt der nach ihrem ersten Gedichtband benannte Abend, auch wenn er lieber ihre Poesie bebildert. Wie schon in Ibrahims Augsburger Arbeit »Klang des Regens« fasziniert ihre raum- und körperorientierte Theatersprache – bis ihre Verliebtheit ins Atmosphärische überhandnimmt. Klang und visuelle Bilder überlagern einander; immer neu nehmen die Schauspieler Anlauf, hüllen sich in Tücher, in eine Atmosphäre der Intimität oder legen die Birkenstämme wie Mikadostäbe übereinander. Mindestens dreimal könnte der Abend bereits zu Ende gewesen sein, bevor er nach nur 70 Minuten in ein letztes Schlussbild mündet. Schön ist das alles – und Höckel und Bimazubute erweisen sich als wundersame Blickmagneten, ganz gleich, was sie tun. Doch gerade bei dem Thema hätte der Abend etwas mehr Konkretheit und Direktheit vertragen können. Damit nicht nur die Blicke, sondern auch die Worte wie Geschosse einschlagen, von denen May Ayim schrieb: »alle worte in den mund nehmen / egal wo sie herkommen / und sie überall fallen lassen / ganz gleich wen es / trifft«. ||
BLUES IN SCHWARZ WEISS
Marstall | 20. Okt. | 19.30 Uhr | Tickets: 089 21851940
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