Buchtipps: Jen Beagin, Salman Rushdie, Grethe Bøe

Endlich Zeit zu lesen, ob am Meer, am See, in den Bergen, in einem Münchner Café oder einem kühlen Museum, Zeit, sich der Fülle der Neuerscheinungen und ungelesenen Bücher aus dem eigenen Regal zu ergeben. Weitere Buchtipps gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk

Buchtipps für den Sommer

AUF VERRAT GEBAUT
Was für ein Roman! Eine Einladung, zum Voyeur zu werden, sich bestens zu amüsieren und nur ein ganz klein wenig zu genieren. Jen Beagin, die selbst angeblich erst mit Mitte 30 das Schreiben für sich entdeckt hat – zuvor, so heißt es, habe sie sich mit Putzarbeiten mehr schlecht als recht durchgeschlagen –, erzählt von einer Frau, die sich treiben lässt und die völlig unerwartet auf die ganz große Liebe stößt. Eigentlich hält sich Greta, deren abgerocktes Dasein man nur mit viel Wohlwollen als eine Form von Lebenskunst bezeichnen kann, mit Tipparbeiten über Wasser. Für einen wichtigtuerischen Therapeuten, der seine eher zweifelhaften, mehr esoterisch als wissenschaftlich fundierten Dienste als Sexcoach anpreist, fertigt sie Typoskripte von dessen Patientinnengesprächen an. Und in die Frau, der Greta in ihrer Schreibstube unbekannterweise das zunächst ehrfürchtig gemeinte Pseudonym »Big Swiss« gibt, schockverliebt sie sich. Pikant: Natürlich trifft man sich in der Kleinstadt. Und am Klang ihrer Stimme ist »Big Swiss« schnell zu erkennen. Es kommt zu einer gefährlichen, brutal leidenschaftlichen Affäre. Und natürlich zur Katastrophe. ||
RUPERT SOMMER

JEN BEAGIN: BIG SWISS
Übersetzt von Eva Kemper | Atlantik Verlag, 2023 | 448 Seiten | 24 Euro

DAS WORT SIEGT
Ein fantastisches Märchenbuch, aus dem frau-man jeden Abend eine wundersame Geschichte vorgelesen haben möchte. Ein ironisch-lächelnd-anmutiges Politplädoyer für die kraftvoll sanfte Frauenherrschaft neben und über aller Männermacht. Ein Eintauchen in das hierzulande nahezu unbekannte südindische Großreich Vijayanagar und dessen Blüte von 1318 bis 1565 samt dem Erzählzauber, der das Großepos Maharabata und die Sheherazade-Welt prägt. Erzähltechnisch aber auch ein reizvolles Wechselspiel mit Darstellungsperspektiven bis hin zu bissigen Kommentaren des ungenannt bleibenden Erzählers, die auf unsere westliche »Zivilisation« verweisen. Und die Kritik an aller religiösen Orthodoxie, amüsante Normalität von erotisch-sexueller Freizügigkeit, der Wahnwitz aller Kriege und vieles mehr. Schließlich die unvergessliche Heldin Pampa Kampana, die mit göttlicher Hilfe 247 Jahre leben darf und wie 35 aussieht, die Tyrannen überdauert und alles aufschreibt, denn: »Worte sind die einzigen Sieger.« ||
WOLF-DIETER PETER

SALMAN RUSHDIE: VICTORY CITY
Aus dem Englischen von Bernhard Robben | Penguin, 2023 | 416 Seiten | 26 Euro

UNHEIMLICH
Bisher waren es in der Belletristik (und vor allem auch im Film) in der Regel ganze Kerle, die sich nach einem wie auch immer gearteten Unglück durch die Wildnis schlagen. In Grethe Bøes spannendem Thriller-Erstling »Puls der Arktis« ist es eine Frau, Ylva Nordahl, Kampfpilotin bei der NATO. Bei einem Manöverflug im äußersten Norden Norwegens, nahe der russischen Grenze, wird ihr Flugzeug von einem russischen bedrängt und stürzt ab. Sie und ihr Kollege John landen weit hinter der russischen Grenze in der eisigen Tundra. Unerlaubt auf fremdem Territorium. Gesucht vom russischen Militär. Ein beängstigend aktuelles Setting, in das Dokumentarfilmerin Bøes den Plot verpackt, allerdings erschien das norwegische Original bereits 2021, vor dem Krieg Putins gegen die Ukraine. Unheimlich bleibt es trotzdem. Vor allem, als sich herausstellt, dass Ylva und der verletzte John nicht nur die Eiswüste und das russische Militär gegen sich haben, sondern noch jemand sie verfolgt und um jeden Preis versucht zu verhindern, dass sie zurück nach Norwegen gelangen. Ylva allerdings ist wie die Autorin Bøe Samin und verbrachte ihre Kindheit in genau dem Gebiet, durch das sie nun zu Fuß fliehen. Wer hinter dem Absturz steckt und was das mit dem Tod von Ylvas Vater zu tun hat, bleibt die drängende Frage im Hintergrund der Hetzjagd. ||
CHRISTIANE WECHSELBERGER

GRETHE BØE: PULS DER ARKTIS
Aus dem Norwegischen von Franziska Hüther, Daniela Stilzebach | Heyne, 2023 | 416 Seiten | 11 Euro

Weitere Buchtipps aus vergangenen Ausgaben finden Sie unter der Literaturrubrik im oberen Menü. Viel Spaß beim Entdecken!

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