Das Valentin-Karlstadt-Musäum präsentiert eine beeindruckende Werkschau des Comic-Autors Gerhard Seyfried.
Gerhard Seyfried
Pop! Stolizei!
Unvergessen ist das »Blatt«, jene unvergleichliche, billig gedruckte und keinesfalls edel gestaltete Stadt- (oder auch Statt-)Zeitung Münchens, von der zwischen 1973 und 1984 274 Ausgaben erschienen sind. Einen guten Anteil am Erfolg dieses frühen westdeutschen alternativen Mediums, das zum Prototyp späterer Stadtmagazine wurde, hatte der multitalentierte Zeichner und Comic-Autor Gerhard Seyfried. Seinem Œuvre, das freilich mehr als die fast andachtsvoll präsentierten Titelblätter des »Blatts« umfasst, widmet das Münchner Valentin-Karlstadt-Musäum eine sehenswerte und auch nostalgische Ausstellung mit dem Titel »Gerhard Seyfried – Die Comics«.
Ein Muss für die Fans, die zum Comicfestival vom 8. bis 11. Juni in der Stadt erwartet und mit einer Vielzahl von Ausstellungen in verschiedenen Locations verwöhnt werden. Zentrale Anlaufstelle ist der Gasteig HP8, wo bei freiem Eintritt die Verlagsmesse, Independentmesse, Signieraktionen, Künstlergespräche und Zeichenkurse stattfinden. Amerikahaus, Instituto Cervantes und Tschechisches Zentrum sind ebenso dabei wie etwa das Italienische Kulturinstitut oder die Stadtbibliothek im Motorama.
Die Musäums-Schau entstand in Folge des alle zwei Jahre veranstalteten Festivals. Denn 2021 wurde der 1948 in München geborene Seyfried mit dem renommierten »Peng!-Preis« für sein zeichnerisches Lebenswerk geehrt. Dieser Comic-Preis ist mit einer nachfolgenden Ausstellung verknüpft. Diese lässt uns nun in eine irgendwie längst vergangen anmutendeZeit eintauchen. Eine anarchische Ära, in der man von Bullen und Freaks sprach, die sich von ganzem Herzen hassten. Eine Zeit, in der man sich gern voller Absicht ungepflegt kleidete, struppige Bärte und lange Haare als provokatives Zeichen des Aufbegehrens gegen die Obrigkeit und alles Konservative trug. Man träumte von der nahenden Weltrevolution und verachtete zutiefst das Drogen verabscheuende und sich in dauerhaften Zweierbeziehungen quälende Establishment. So lebte man in einer von vielen Vermietern schräg beäugten WG oder gleich in einer Kommune.
All das wird in den durchaus politischen und sozialkritischen Cartoons von Seyfried, den die Kuratoren als emsigen Chronisten der linken und alternativen Szene bezeichnen, lebendig. Die besten Arbeiten faszinieren noch heute mit ihrem anarchischen Witz. Bestimmt gehört dazu jene vielfach variierte Zeichnung der zwei Imbissbuden mit »Bulletten« und »Freakadellen«; gegensätzlich typisiert mit den davor postierten massiven, uniformierten Polizisten und den bunten, wendigen Alternativen, die sich argwöhnisch beäugen. Feindbilder – humorvoll und zum Lachen. Nicht nur deshalb, weil das Fleischpflanzerl, das vor beiden Buden auch angebissen total identisch aussieht und wahrscheinlich auch so schmeckt, halt ein Fleischpflanzerl bleibt, egal wie man es nennt. Seyfried, der angeblich die umfangreichste Polizeistern-Sammlung der Welt besitzt, nimmt damit die teils verbissene gegenseitige Antipathie auf die Schippe, macht sich über Ideologien lustig – und wird dabei nicht zynisch, sondern bleibt sympathisch, menschlich.
Wenn man so will, demonstriert der Star der Sponti-Szene damit fast exemplarisch Qualitäten eines modernen Marketings, nur mit anderen Intentionen. Mit seinen verulkenden, nie bemüht erscheinenden Wortschöpfungen und Buchstabenverdrehungen traf er den Nerv der Zeit. Man denke nur an den unvergessenen Cartoon »Pop! Stolizei«. Seyfried ätzt eher selten mit Lechz, Ächz, Aaaah und Puuuh, sondern zeigt Wortwitz und uneitle Sprachbeherrschung. Hinter seinen vielfach kopierten Werken steckt meist inhaltliche Treffsicherheit. Das wird dann kunstvoll in Bilder und Bildersprache umgemünzt. Seine erste längere Geschichte betitelte er doppelsinnig mit »Invasion aus dem All« – um dann »Tag« darunter zu setzen: also »Alltag«. Was an seinen Zeichnungen begeistert, sind die perfekt beobachteten und umgesetzten Kleinigkeiten.
Seyfried, der 1976 aus Bayern nach Berlin emigrierte, kann aber auch ernsthaft. So gestaltete er ab etwa 2001 über lange Jahre knallig bunte Wahlplakate, Wimmelbilder, für den lange Zeit einzigen direkt gewählten Bundestags-Abgeordneten der Grünen, Hans-Christian Ströbele (1939–2022) aus KreuzbergFriedrichshain. Auf einem zitiert er etwa das legendäre Revolutions-Gemälde von Delacroix aus dem Jahr 1830: »Die Freiheit führt das Volk«. Ströbele stürmt voran mit einem Regenbogen-Banner, auf dem der Satz »Entwaffnet die Finanzmärkte!« zu lesen ist.
Aber auch maltechnisch und stilistisch experimentierte Seyfried gerne. So gibt es beispielsweise humorige Porträts mit dem Titel »Bulle in Öl mit Ei« und dem Zusatz: »Ölfarbe auf Uniformtuch«. Immer wieder testete er Buntstifte auf schwarzem Karton. Sogar Spielkarten für Skat und Poker entwarf er, Titel: »Seyfrieds Cannabis Cards«.
Seit der Jahrtausendwende – das zeigt der Blick in die unvermeidliche Devotionalienvitrine – schreibt Seyfried seriöse Bücher, Romane, basierend auf seinem tiefschürfenden Interesse an deutscher Kolonialgeschichte. In Namibia recherchierte er für »Herero«, in China für ein Buch über den sogenannten Boxeraufstand des Jahres 1900 und in London für »Verdammte Deutsche«, ein Roman, der vom Wettrüsten zwischen dem britischen Empire und dem deutschen Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg handelt. ||
GERHARD SEYFRIED – DIE COMICS
Valentin-Karlstadt-Musäum | Im Tal 50 (Isartor) | bis 11. Juli | tägl. außer Mi 11–18 Uhr, So 10–18 Uhr | Kuratorenführung: 2. und 9.7., 15 Uhr
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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