Am Anfang war es Techno mit Naturinstrumenten. Inzwischen machen Brandt Brauer Frick weit mehr als das.
Brandt Brauer Frick
Tanzbein plus
Es passiert nach genau anderthalb Minuten. Gioele Coccia, der sich bereits zuvor im Videozu »Are You Awake« von Brandt Brauer Frick wiederholt vervielfacht hat, tanzt nun mit sich selbst einen Pas de deux. Eine Umarmung deutet sich an. Und dann werden aus zwei Gioele Coccias auf einmal Dutzende. Der Körper des italienischen Tänzers gebiert permanent Klone. Sie springen, rennen, tanzen von rechts nach links in den leeren Raum hinein. Sie rollen über den Boden, drehen Pirouetten, jeder für sich oder manchmal auch in Formation. Bis nach 30 Sekunden ein einziger Gioele Coccia übrig bleibt. Er fällt langsam, wie erschöpft, zu Boden und bleibt dort mit nach oben gestreckten Füßen liegen, bis das Video, die Musik aus ist. Die Idee hinter der von Coccia selbst inszenierten Choreografie? Den Einsatz von Wiederholung und Variation in der Musik zu reflektieren.
Was das Ganze aber auch ist: eine Feier des Tanzens an sich und des menschlichen Körpers. Und das gilt für alle vier Videos, die zur im letzten September erschienenen EP »Step« gehören und die man sich auf brandtbrauerfrick.de oder auf Youtube anschauen kann. Passend dazu heben auch Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick in ihren Aussagen zur neuen EP die Bedeutung der »kollektiven Tanzerfahrung« im Konzert oder im Club hervor. »Wenn Du Musik mit Deinem ganzen Körper erlebst, passiert eine Transformation«, heißt es vonseiten des Berliner Trios, das am 27. Februar im Münchner Ampere auftritt. »Ohne diese Rituale des Miteinander-Erlebens sterben wir alle innerlich.« Dass hier die Erfahrungen aus der Pandemie mitschwingen, ist klar. Tanzen im Club als kollektive Transformation war da bekanntlich lange Zeit nicht möglich.
Dafür braucht es natürlich passende Musik, und die liefern Brandt Brauer Frick seit ihrer Gründung in Wiesbaden 2008 unermüdlich. Als analogen Techno könnte man grob bezeichnen, was das Trio macht. Mit Bezügen zur Neoklassik, zu Minimal, zum Jazz und mit ordentlich Groove. Zu Beginn geschah das mit dem Instrumentarium der klassischen Musik. Die eingespielten Parts wurden dann via Samples elektronisch verarbeitet. Tatsächlich haben alle drei Musiker auch einen klassischen Hintergrund. Paul Frick hat Komposition studiert, seine Kollegen waren im Orchester. Und mit dem zehnköpfigen Brandt Brauer Frick Ensemble haben sie sich bald ebenfalls zu einem Teilzeit-Miniorchester erweitert. Auch in Begleitung großer Ensembles haben sie gespielt sowie wiederholt mit Sängern und Sängerinnen gearbeitet. Letzteres gelang mal mehr, mal weniger gut. So hatte man etwa beim Album »Joy« von 2016 den Eindruck, dass der leicht exaltierte Gesang des Kanadiers Beaver Sheppard und die komplexen Rhythmen nicht so recht zusammengehen.
Da ist es vielleicht ganz gut, dass sich Brandt Brauer Frick auf »Step« wieder auf ihre Stärken konzentrieren. Also auf tanzbare und dennoch komplexe Rhythmen, die sie mithilfe von Schlagzeug und Percussion, Klavier, Keyboard und Synthesizer zu dritt in Szene setzen. Mit Wiederholung und Variation als Grundprinzipien des Techno, wie sie auch Gioele Coccia in seinem Video zelebriert. Ganz neu ist das 2023 zugegeben nicht mehr. In München gibt es etwa das Leo Betzl Trio LBT, das von Richtung Jazz aus höchst erfolgreich in ähnlichen Gefilden wildert. Oder das Verworner-Krause-Kammerochester, das wie Brandt Brauer Frick seinen Hintergrund in der Klassik hat. Großen Spaß machen die vier Stücke auf »Step« trotzdem, von denen es drei in einer kurzen und einer »Extended«-Version gibt. Und vor allem live sollte man sich das Ganze nicht entgehen lassen. ||
BRANDT BRAUER FRICK
Ampere | Zellstr. 4 | 27. Feb. | 20 Uhr
Tickets: 089 54818181
Weitere Konzert-Vorberichte gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Tollwood 2022: Patti Smith, Gábor Miklós Szöke und vieles mehr
Zanaida: Johann Christian Bachs Oper im Prinzregententheater
club.radio - Der Online-Sender von Tom Glagow
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton