Josef E. Köpplinger würfelt bei Jacques Offenbachs »Die Großherzogin von Gerolstein« die Geschlechterrollen durcheinander. Das ist feine Operette und hat durchaus Tradition.
»Die Großherzogin von Gerolstein«
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Einige staunen Bauklötze, andere lächeln müde. Doch eine skandalumwitterte Sensation ist die Besetzung der Titelpartie von Jacques Offenbachs »Die Großherzogin von Gerolstein« mit einem Mann schon lange nicht mehr. Es wurde heftig diskutiert, als Intendant Karl Sibelius erst im Theater an der Rott Eggenfelden, dann im Theater Trier in den Galaroben der militärlüsternen Potentatin des fiktiven Zwergstaats aus der 1867 zur Weltausstellung in Paris uraufgeführten Opéra bouffe paradierte. An der Komischen Oper Berlin teilten sich vor zwei Jahren Tom Erik Lie und Philipp Meierhöfer in Barrie Koskys Regie die Vorstellungen: Ausgepolsterte Kostüme ließen die militärisch-feudale Personage dort voll fett aussehen. Im Silbersaal des Deutschen Theaters München inszenierte Edmund Gleede »Die Großherzogin« mit dem Travestiestar Rebecca (Kurt Auer) vor bereits 35 Jahren als freizügige Friedensvision.
Nach nur drei Vorstellungen von Josef E. Köpplingers Inszenierung an der Semperoper Dresden im Winter 2020 begann der erste Lockdown. Insofern erwies sich die Koproduktion der Sächsischen Staatsoper mit dem Staatstheater am Gärtnerplatz als großes Glück. Natürlich wurden am Gärtnerplatz das Bühnenbild Johannes Leiackers und die Choreografie von Co-Regisseur Adam Cooper für die intimeren Raumdimensionen angepasst. Und natürlich spielt das Gärtnerplatzorchester unter Michael Balke anders als die Sächsische Staatskapelle und hat durch dessen stete Repertoirepräsenz (zuletzt mit »Hoffmanns Erzählungen«) profunde Offenbach-Expertisen. Ungewöhnlich ist aber die Besetzung der Großherzogin mit dem Ensemblemitglied Juan Carlos Falcon. Der Tenor übernimmt die Partie von der Sopranistin Anne Schwanewilms, deren Vorliebe in Dresden mehr Offenbachs Noten als den durch Thomas Pigor auffrisierten Dialogen von Ludovic Halévy und Henri Meilhac galten. »An Juan in der Titelpartie dachte ich seit meinem Einstieg in München,« sagt Josef E. Köpplinger. »Die Besetzung hat für mich persönlich nichts mit den aktuellen Genderdiskursen zu tun und ist auch keine Reaktion darauf.«
Mit gleicher Wertigkeit werden in bunter Vielfalt alle Neigungen gewürdigt. Prinz Paul (Daniel Prohaska), dem die Großherzogin, nachdem ihr diverse amouröse Felle davonschwimmen, die Hand zum feudalen Lebensbund reicht, ist eindeutig am gleichen Geschlecht interessiert. Mit Sigrid Hauser als Erusine von Nepomukka wird der Spieß umgedreht: Keineswegs sind Intrigen im Großherzogtum nur Männersache. Wenn dann noch Touristengruppen mitsamt Fremdenführerin von wahrhaften Gerolsteiner*innen attackiert werden, ist die Offenbachiade perfekt.
Offenbachs Großherzogin lässt den Soldaten Fritz (Matteo Ivan Rašić) die militärische Karriereleiter erst hinauffliegen und dann blitzschnell hinabstürzen, weil dieser seiner Braut Wanda (Julia Sturzlbaum) die emotionale Treue hält. Diese hat man schon laut Köpplinger in den verschiedensten Typologien erleben können, »als schöne Frau, als Monster, als sehr elegante Frau«. Als Zoten reißende Dragqueen betrachten Offenbachs sprichwörtliche Primadonnenpartie weder er noch der Kostümbildner Alfred Mayerhofer, welcher am männlichen Hauptdarsteller keinen Damen-Hosenanzug duldet. »Wir spielen mit einer Behauptung«, sagt Köpplinger. Juan Carlos Falcon, der die Dialoge mit einem feinen mallorquinischen Akzent spricht, legte sich für die Großherzogin eine bei Offenbach so nicht vorkommende Biografie zurecht: »Wahrscheinlich spielte der Prinz im Knabenalter mit Puppen und trug Mädchenkleider. Das behält unsere Figur so bei, ist dadurch aber in ihrem von militärischen Männerritualen geprägten Umfeld etwas einsam.« Historische Vorbilder dafür gibt es: Emil Leopold August beispielsweise, Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772–1822) hatte Freude am Tragen von Frauenkleidern und am dadurch möglichen Provozieren. Die erotische Hatz auf Untertanen ist nichts Ungewöhnliches in Gerolstein und drastisches Mittel einer Machtperson im Kampf gegen die Einsamkeit.
»Ich singe durchgängig mit meiner normalen Stimme, nicht im Falsett«, erklärt Falcon die Besonderheit seiner Partie. Auch für ihn, der seit Jahren als Knusperhexe in »Hänsel und Gretel« gefeiert wird, ist diese Herangehensweise eine neuartige Herausforderung. Am Hitpotenzial von Couplets wie »Oh, wie liebe ich die Soldaten« und »Das ist der Degen von Papa« ändert sich dadurch nichts. Offenbach, auch ein Held des Ohrwurms. ||
JACQUES OFFENBACH: DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN
Gärtnerplatztheater | 19. Feb., 9., 11., 17. März | 19.30 Uhr (So 18 Uhr) | Tickets: 089 21851960
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