Die 73. Berlinale setzt den Krieg gegen die Ukraine und die Proteste im Iran demonstrativ auf ihre Agenda. Im Festivalprogramm finden sich auch wieder einige Filme mit Münchner Beteiligung.

Berlinale 2023

Filmkunst in düsteren Zeiten

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»Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war« von Sonja Heiss © 2022 Komplizen Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Frédéric Batier

Was macht eines der wichtigsten Filmfestivals der Welt, wenn abseits des roten Teppichs am Potsdamer Platz die Welt infolge von Krieg, Energiekrise und Umweltkollaps zusehends in Flammen steht? Wenn sich nur 1000 Kilometer entfernt vom Berlinale Palast der russische Angriffskrieg während des Festivalzeitraums (16. bis 26. Februar) jährt? Nun, es setzt den Überfall auf die Ukraine sowie die innenpolitisch hochbrisante Lage im Iran demonstrativ auf die Agenda des größten deutschen Kulturtankers, wie es die Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek betonte. Verbunden mit diversen Programmschwerpunkten wie Solidaritätsaktionen und einem Berlinale-Pin in den ukrainischen Nationalfarben gehört dazu etwa die Weltpremiere von »Superpower«, für dessen Dreh der US-Schauspieler Sean Penn (Co-Regie: Aaron Kaufman) im November 2021 zu Wolodymyr Selenskyj nach Kiew gereist war, ehe er sich am Tag des russischen Überfalls (24. Februar 2022) plötzlich selbst im Kriegsgebiet befand.

Trotz jener »angespannten Weltlage« habe man aufgrund des Abebbens der Corona-Pandemie aus Sicht der Festivalmacher*innen wieder »den Eindruck, dass die Realität zurück ist«, wie es Carlo Chatrian als künstlerischer Leiter hervorhob, wodurch in den Festivalkinos nach zwei Ausnahmejahrgängen sicherlich wieder der Bär tanzt. Daher fühlt sich die 73. Ausgabe der Berlinale zumindest auf dem Papier wieder halbwegs normal an, wenn auch das Angebot an Spielstätten am zentralen Potsdamer Platz durch die schwierigen Umbaumaßnahmen am CinemaxX-Kino keineswegs rosig ist.

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Philipp Stölzl ist an der Serie »Der Schwarm« beteiligt | © Schwarm TV Production GmbH & Co. KG

Ziemlich gut lief es dagegen in diesem Festivaljahrgang für viele Münchner Filmschaffende, deren Werke aus über 7000 Einreichungen ausgewählt wurden. Dazu zählt zuallererst das mit Spannung erwartete Regiecomeback des HFF-München-Absolventen, Publizisten (»Revolver«), Dozenten (dffb Berlin) und Mitbegründers der »Berliner Schule« im Wettbewerb: Christoph Hochhäusler. In seiner Film-noir-Variation »Bis ans Ende der Nacht« (Produktion: HFF-Absolventin Bettina Brokemper) lässt sich ein verdeckter Ermittler (Ex-Münchner Volkstheater Ensemblemitglied Timocin Ziegler) als Partner einer trans*Frau ins kriminelle Milieu einschleusen, um das Vertrauen eines Großdealers zu erringen, ehe plötzliche Liebesgefühle alles ins Wanken bringen.

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»Sisi und Ich« von Frauke Finsterwalder © DCM Bernd Spauke

Zum wiederholten Mal ist der Kameramann Hans Fromm in der bedeutendsten Festivalsektion vertreten. Für Christian Petzold stand der Münchner nach »Undine« (2020) nun auch für »Roter Himmel«, den zweiten Teil von Petzolds romantischer Trilogie, der im Wettbewerb läuft, hinter der Kamera. Mit dem Literaturbiopic »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« in der Regie von Margarethe von Trotta sind zudem mit Alamode Filmdistribution und MFA+ Filmdistribution zwei weitere bayerische bzw. Münchner Firmen im Wettbewerb vertreten. Dabei verwandeln sich Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld in das legendenumrankte Autorenpaar Ingeborg Bachmann und Max Frisch, was Vorfreude weckt.

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»Langer Langer Kuss« von Lukas Röder | © HFF München

Große Erwartungen sind mit Frauke Finsterwalders Rückkehr auf die Kinoleinwand im »Panorama« verbunden, für deren Produktion die Münchner Philipp Worm und Tobias Walker verantwortlich zeichnen. Zehn Jahre sind immerhin seit dem fulminanten Langfilmdebüt (»Finsterworld«) der HFF-München-Absolventin vergangen. Mithilfe ihres Ehemanns Christian Kracht (als Co-Drehbuchautor) hat sie sich in »Sisi & Ich« (eine BR-Koproduktion) zusammen mit ihren Hauptdarstellerinnen Sandra Hüller (als Hofdame Irma) und Susanne Wolf (als Kaiserin Sisi) in die absurd-irrlichternde Fantasiewelt der berühmtesten k.-u.-k.-Monarchin hineingeträumt und ihrem Mythos einen ausgesprochen modernen Touch verliehen – feminines Kommunenleben in Griechenland ausdrücklich eingeschlossen.

»Im Stillen erwachen«, ein Kurzfilm von Mila Zhluktenko und David Asadi Faezi | © Tobias Blickle

Auf einen Publikumserfolg darf in jedem Fall die gebürtige Münchnerin und HFF-München-Absolventin Sonja Heiss (»Hedi Schneider steckt fest«) hoffen, die inzwischen in Berlin lebt. Ihre filmische Adaption von Joachim Meyerhoffs melancholisch-süßem Bestsellerroman »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war« (2013) hat den Sprung in die Reihe »Generation 14plus« geschafft und ist mit Laura Tonke, Devid Striesow, Lina Beckmann und Axel Milberg obendrein vielversprechend besetzt.

»Atomnomaden«, ein dystopischer Dokumentarfilm von Kilian Armando Friedrichs und Tizian Stromp Zargari | © Jacob Kohl

Der kreative Münchner Tausendsassa Philipp Stölzl, der seit Jahren Opern und Theater (»Andrea Chénier« an der Bayerischen Staatsoper, »Vermächtnis« am Residenztheater), Werbespots, Musikvideos und Spielfilme (zuletzt: »Schachnovelle«) inszeniert, ist innerhalb der »Berlinale Series«-Sektion (außer Konkurrenz) vertreten. Für die deutsch-belgische Serienadaption »Der Schwarm« (nach Frank Schätzings literarischem Sci-Fi-Thriller-Welterfolg) wurde er zusammen mit Barbara Eder und Luka Watson als Regisseur verpflichtet: Spannung garantiert.

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»Gehen und Bleiben«, von Volker Koepp zeigt Leser:innen des Schriftstellers Uwe Johnson | © Salzgeber

Über eine weiterhin starke Präsenz auf dem größten Publikumsfestival der Welt darf sich zum wiederholten Mal die HFF München freuen. Gleich mehrere ihrer Studierenden haben eine Zusage fürs große Filmfestivalparkett erhalten: So zum Beispiel Lukas Röder, dessen Drama »Langer Langer Kuss« in der Reihe »Perspektive Deutsches Kino« uraufgeführt wird. Ebenso wie Kilian Armando Friedrichs und Tizian Stromp Zargaris »Atomnomaden« oder der Kurzfilm »Im Stillen erwachen« von Mila Zhluktenko und Daniel Asadi Faezi, der in der Reihe »Generation Kplus« läuft. Darin haben ukrainische Kinder an einem Sommertag in einer ehemaligen deutschen Militärkaserne Zuflucht gefunden, wo sie auf Symbole des Krieges stoßen, was sie wiederum mit ihren eigenen Erfahrungen verknüpfen. Gerade jenen Film sollten in unruhigen Zeiten wie diesen möglichst viele Besucher*innen sehen: Was bleibt, ist Hoffnung. Das gilt für diesen Berlinale-Jahrgang in jeder Hinsicht. ||

73. INTERNATIONALE FILMFESTSPIELE BERLIN
16.–26. Februar
Vollständiges Filmprogramm

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