Zwei Ausstellungen zeigen Werke der Münchner Künstlerin Caro Jost: die Galerie Britta Rettberg und das CAS, Center for Advanced Studies der LMU.
Caro Jost
Spurensuche
Gesetzestexte – was haben die mit bildender Kunst zu tun? Ganz einfach: indem man sie dazu macht. Der Münchner Künstlerin Caro Jost (*1965) jedenfalls gelingt der Spagat zwischen den Disziplinen, weiß sie doch, wovon sie spricht. Als studierte Juristin ist ihr der Umgang mit dem BGB vertraut, das unter ihrer Hand zur Grundlage für künstlerische Wandarbeiten und Objekte wird. Seit 2016 integriert sie Gesetzesblätter als Basis für ihre Zeichnungen, Malereien und Objekte in ihr komplexes konzeptuelles Werk. Die in den großzügigen Räumen der Galerie Britta Rettberg gezeigten Arbeiten aus der »Serie der Gesetzesbilder« sind alle 2022 entstanden: Ausgewählte Textseiten werden teilweise geschwärzt und übermalt, Schlüsselbegriffe hervorgehoben und die so bearbeiteten Blätter mit einzelnen Wörtern oder Kommentaren abgestempelt.
Die auf Leinwand gedruckten Vergrößerungen werden dann als flache Bildwerke, gewellte Reliefs oder geformte Objekte mit glänzendem Epoxidharz überzogen. Dieser Prozess der zunehmenden Ästhetisierung lässt zwar noch erkennen, worum es in den Paragrafen geht – um Preisausschreiben etwa, um den Familienstand oder um den Schutz von Urheberrechten –, doch die inhaltliche Aussage, die die Künstlerin ihrer subjektiven Erfahrungswelt entnimmt, ist verfremdet und gereicht den Betrachtenden allenfalls zur Reflexion über die Bandbreite und die Bedeutung unserer Gesetze: Sie spiegeln unser tägliches Leben, indem sie unser soziales, gesellschaftliches und politisches Miteinander gestalten. Man kommt nicht umhin, in ihnen auch die aktuelle Brisanz zu erkennen: In Zeiten, in denen die potentiellen Gefahren für die Demokratie stärker in den Fokus rücken, erhalten die Instrumente unseres Systems Signalwirkung.
Gesetzestexte, Aphorismen, Tagebucheinträge, Notate – es sind verschiedene Textformen und Fundstücke, mit denen die Künstlerin in ihrem Werk arbeitet, das vor allem um ein wesentliches Anliegen der Künstlerin kreist: das Festhalten und Archivieren von besonderen Momenten der Vergangenheit, häufig der von anderen. In der zentralen Arbeit der Ausstellung »All in One« von 2012 hingegen erinnert sie an die Reflexion des eigenen Selbst: Ein Urlaubsfoto aus den 80er Jahren zeigt sie als Rückenfigur im Badeanzug am Strand. Hochgezogen zum wandfüllenden Plakat wird es zum Idealbild unserer Optimierungsgesellschaft, eine Selbstdarstellung, wie man sie heute zuhauf auf Instagram findet. Doch ein schwarzer Störer irritiert die werbewirksame Idylle – es ist eine eng mit schwarzem Kreppband umwickelte kompakte Leinwand, die zweierlei suggeriert: ein Gefangensein sowie den Schutz des verborgenen Inneren. Es ist die Frage, die die Künstlerin umtreibt: Wo gebe ich mehr preis? Durch mich selbst, indem ich einem bestimmten gesellschaftlichen Bild entspreche, oder durch meine Kunst?
Website von Caro Jost
Der eher persönlichen Ebene der Galerieausstellung entgegengesetzt geht es in den Räumen des CAS um eine andere Spurensuche von Caro Jost. Seit über 20 Jahren entstehen auf weltweiten Reisen ihre »Streetprints«, einer ihrer zentralen Werkkomplexe: Abdrücke von Straßenoberflächen, die sie mit der Leinwand entnimmt und die auf ausgesuchte Orte, auf Entdeckungen und auf Zufallsfunde zurückgehen. Indem in ihnen die Spuren zivilisatorischen Lebens eingeschrieben sind, werden sie zu komprimierten Zeugnissen von Ort und Zeit, die uns als abstrakte Strukturbilder vorgeführt werden. In den weitläufigen Räumen des CAS bietet sich die Gelegenheit, zahlreiche Beispiele dieses umfassenden Work in Progress in seinen unterschiedlichen materiellen und ästhetischen Ausführungen zu erleben. ||
CARO JOST – ALL IN ONE
Galerie Britta Rettberg | Gabelsbergerstr. 51 | bis 4. Februar
Mi bis Fr 12–18 Uhr, Sa 11–15 Uhr
CARO JOST – SEE WHAT WAS NEXT
CAS – Center for Advanced Studies
Seestr. 13 | bis 28. Februar | Anmeldung unter info@cas.lmu.de oder 089 2180-72080
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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