Eine Ausstellung für das Fahrrad! Die Neue Sammlung zeigt ästhetische und innovative Highlights aus seiner 200 Jahre alten Geschichte.
Das Fahrrad – Kultobjekt – Designobjekt
Zum Davonfahren schön
Am liebsten ein aufgefrischtes altes Peugeot, ein Bianchi oder Colnago, geklebte Reifen, knallhart aufgepumpt mit zehn Atü und ohne jeden Schickschnack. Kein Licht, kein Schutzblech, keine Klingel, kein Gepäckträger, kein Ständer – und dann vielleicht noch Single-Gear, also mit nur einem Gang, um Zahnräder zu sparen. Warum? Weil so ein extrem leichter Straßenrenner nicht nur ein Symbol für selbst getretene jugendliche Beschleunigung und Geschwindigkeit ist, sondern auch an windschnittiger Eleganz und faszinierend minimalistischer Gestaltung kaum zu übertreffen. Sprich: Mit so was fällt man auf. Etwa auf unseren innerstädtischen Radwegen – wobei man allzu rasanten Fahrern besser aus dem Weg geht.
Ein Fahrrad ist mehr als ein Fortbewegungsmittel. Es ist – wie früher das Auto, bevor es in die Krise kam und zum SUV mutierte – ein Prestigeobjekt, ein Statussymbol – und damit natürlich ein Produkt von Design. So wundert es geradezu, dass die Ausstellung der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne in München die erste wirklich bemerkenswerte Schau zur Gestaltung und Kulturgeschichte des Rades ist. Der Fokus wurde nicht so sehr auf die Technologie als vielmehr auf die Gestaltung gerichtet, obwohl eines das andere bedingt und inspiriert. Gute Beispiele dafür sind etwa die komplizierten, aber überzeugend gestalteten Falt- und Klappräder oder das mitwachsende Rad. Oder die Exemplare aus neuen Materialien: Fahrradbauer entwickelten Räder nicht nur aus Stahlrohr, Aluminium, Titan, Karbon, sondern auch aus flexiblem Bambus, Kunststoff, Magnesium oder sogar Papier und anderen Werkstoffen. Das bedingt logischerweise einen jeweils neuen Designansatz.
Die Schau beginnt mit dem hölzernen Laufrad von Karl Drais, der die »Draisine« 1817 wohl in der Not erfand. Das eiskalte 1816 ging als »Jahr ohne Sommer« – und somit auch mit einer Missernte – in die Geschichte ein. Die Hungersnot zwang viele dazu, ihre bis dato zur Fortbewegung und zum Transport benutzten Pferde und Ochsen zu schlachten und zu verzehren. Kurator Josef Straßer will aber keine Historie des Fahrrads im Sinne eines Technikmuseums erzählen. Außen vor bleiben in dieser auch betörend im Rundraum unter der Rotunde präsentierten Schau die ganzen nervigen Schlagzeilenthemen wie separate Fahrbahnspuren, Kinderanhänger, Lastenräder, E-Bikes oder nun auch noch Hybride aus Mountainbike und Moped. Das Verkehrszentrum des Deutschen Museums beispielsweise zeigt gerade eine Sonderausstellung »Bikesharing. Das Radeln neu erfunden« (bis 16. April, Am Bavariapark 5, tägl. 9–17 Uhr). Hier im Designmuseum verzichtet man auf die Aspekte Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz oder das wachsende Bewusstsein für die eigene Gesundheit. Was gut ist – weil es auch zu viel des Guten für eine solche Schau wäre. Und weil auch mal Zeit ist, die ästhetischen Highlights dieser Sternstunden-Erfindung der Menschheit zu goutieren: Denn am Fahrraddesign lässt sich deutlich wie an sonst kaum einem Fortbewegungsmittel aufzeigen, wie Technik, Materialien und Gestaltungswille ineinanderspielen. Und wie immer wieder formal und konstruktiv erfolgreich experimentiert wurde.
70 Stück der ungewöhnlichsten und spannendsten Räderhaben die Kuratoren in jahrelanger Recherche zusammengetragen. Zu sehen ist etwa ein Rahmen aus dem 3-D-Drucker: Metamorphose von Altplastik zu Fahrrad. Auch ein Exemplar aus dem extrem leichten Metall Magnesium darf man bewundern. Der Werkstoff brennt leicht. Was der Produzent Frank Kirk aus England beim Rad zwar durch die Lackierung in den Griff bekam, nicht aber in der Produktion. Der entstehende Staub entzündete sich. Die Fabrik und die Idee vom 10,4 Kilo schweren Superleichtrad endeten in Flammen. Geschichten dieser Art gäbe es viele. Etwa dass der lange gültige Geschwindigkeitsrekord von über 150 Stundenkilometern im Windschatten eines Motorrades vom ausgestellten Rad der Marke H.&W. Sundrack bereits im Jahr 1950 gefahren wurde. Oder dass die Benutzer jenes Hochrades, das um 1870 von Eugène Meyer gebaut wurde, Gefahr liefen, nach vorne abzustürzen. Ein österreichischer Schlosser namens Josef Erlach drehte es dann 1880 um: Vorne das hohe, hinten das kleine Rad. Bis schließlich die unseren heutigen Rädern ähnelnde Konstruktion des Kreuzrahmens gefunden wurde. Unübersehbar: Nicht nur Handwerker, Tüftler, Rahmenbauer widmen sich dem Raddesign, sondern auch viele fachfremde Firmen: Autobauer, Motorradhersteller, Nähmaschinen- oder Waffenfabriken. Das Flugzeugrad (1946) von Reyé Bardet ist zwar mit 15,7 Kilogramm nun wirklich kein Leichtgewicht – besitzt aber mit genieteten Aluminiumblechen und einem Lochmuster eine fürs kleine Fahrrad etwas rustikal anmutende Flugzeugästhetik. Unterschiedliche Antriebe fallen auf. Oder der dauerhafte Wunsch, bequem zu sitzen. 1888 erfand der Tierarzt John Boyd Dunlop den mit Luft gefüllten Reifen. Er ersetzte holpriges Vollgummi. Mikael Pedersen spannte 1893 eine Miniaturhängematte zwischen die Rohre, während das Bonanzarad (1967) eine Art Lordosestütze ziert. Schwingende Rahmen sollen für sanfteres Dahinrollen sorgen. In Vorder- und Hintergabel oder im Sattelrohr wurden Federungen eingebaut. Solche Veränderungen veränderten die Gestaltung und die optische Erscheinung des Zweirades.
Selbst sogenannte Stardesigner ließen sich in die Niederungen der Fahrradgestaltung herab. Von Luigi Colani ist eine Rennradstudie (1979) zu sehen. Das – mitwachsende – »Zoombike« (1998/2000) entwarf Richard Sapper, während sich der Designer des VW Golf I, Giorgetto Giugiaro, 1985 mit einem »Blouson« in die Annalen der Fahrradhistorie eintrug. Besonders futuristisch: das »Biolove«, das Ross Lovegrove für Biomega windschnittig aus schwarzem Karbon kreierte (2003/2011). Das kettenlose Rad mit Kardanwelle und feschen Scheibenbremsen sieht unbewegt schon jetzt so aus, als solle es dereinst auf fernen Planeten zum Einsatz kommen. ||
DAS FAHRRAD – KULTOBJEKT – DESIGNOBJEKT
Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne | Barer-Str. 40 | bis 24. Sept. 2024 | Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr
Live Chat (online) 13.3., 18.30 Uhr (Anmeldung bis spätestens am letzten Werktag vor der Veranstaltung unter programm@pinakothek-der-moderne.de) | Dialogführung 4.2., 15.30 Uhr (Beginn St. Markus, Gabelsbergerstr. 6; Anmeldung) | Kuratorenführung mit Josef Straßer: 23.2., 18.30 Uhr | Der Katalog (Verlag Walther König, 352 S., 527 Abb.) kostet 34,90 Euro
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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