Im Volkstheater inszenierte Christina Tscharyiski die »hildensaga« – eine feministische Neudichtung der Nibelungensage.
hildensaga
Heldinnen braucht das Land
»Neue Helden braucht das Land«, sangen 2010 die Poprocker der EAV. Auch ein Computerspiel dieses Namens will das bereits Achtjährigen vermitteln. Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz dachte hingegen 2022 gendergerecht: Nicht Helden, sondern Heldinnen braucht es. Für die Nibelungenfestspiele Worms machte er aus der Nibelungensage die »hildensaga. ein königinnendrama«. In seiner (konsequent kleingeschriebenen) Neudichtung emanzipieren und verbünden sich Brünhild und Kriemhild gegen die Männerclique, die ihnen übel mitgespielt hat. Für die Uraufführung in Worms letzten Sommer in einem riesigen Wasserbecken bekamen die Schauspieler extra Tauchunterricht. Im Volkstheater hat die Wiener Regisseurin Christina Tscharyiski den Burgunder Königshof unter die Erde in einen Maulwurfsbau verlegt, in dem die Akteure kriechen und krabbeln müssen. Auch eine Form der Unterdrückung. Ihre Inszenierung ist – mit Abstrichen im dritten Teil –
spannend und überzeugend.
Ferdinand Schmalz ist Erstaunliches gelungen: Sein Text bleibt nah am Original, die Sprache ist klar, verständlich, heutig und bewahrt dennoch einen hohen Ton, ganz ohne Pathos und Geraune. Tscharyiski hat am Volkstheater bereits sehr grotesk »Am Wiesnrand« von Stefanie Sargnagel inszeniert. Ihr satirisch geschärfter Blick richtet sich auf die Männer – eine lächerliche Gurkentruppe, nur Siegfried ist standfest wie eine Karotte. Muss er auch sein, denn in Brünhilds Reich Island schätzt man aufrechten Gang und aufrechte Männer. Auf einer halbrunden Eisebene (Bühne: Sarah Sassen) erwartet die stolze Herrscherin (Henriette Nagel) den Helden Siegfried (Jonathan Müller). Ihr Zweikampf wird zum Liebeskampf, Brünhild vertraut Siegfried, das macht sie emotional wehrlos. Drei Nornen schälen sich aus dem schwankenden Laubboden, sie warnen: »Man will dich bändigen.« Zauselvater Wotan (Lukas Darnstädt) tut sie als Spinnerinnen ab. Die feministischen Nornen (Rabea Egg, Clara Fenchel und die meist am Mischpult sitzende Komponistin Cornelia Pazmandi) zürnen immer wieder so prophetisch wie vergeblich.
Der Verrat folgt auf den Fuß. Die Burgundersippe (in irren Fellkostümen von Svenja Gassen) rückt an zur Brautwerbung. Aus dem Tarnkappen-Betrug bei den nur erzählten Wettkämpfen macht Tscharyiski eine hochkomische Gruppenchoreografie (von Paulina Alpen). Am Ende hängt der Schwächling Gunther (Julian Gutmann) Brünhild statt ihrer Krone eine rosa Plüschjacke um. Sie begreift: »wie so ein souvenir werde ich verpackt … ein andenken an eine nordlandfahrt.« Die größte Schmach folgt in den verschlungenen, unterirdischen Schächten des Königsbaus, der sich von unten ins Blickfeld schiebt: Man hört ihre Schreie bei der Vergewaltigung durch Siegfried, die vom Mastermind Hagen (Max Poerting) angestiftet wird. Die Königsbrüder Gernot (Alexandros Koutsoulis) und Giselher (Vincent Sauer) ergänzen ein fabelhaftes, spiellustiges Ensemble, das die Inszenierung bis zur Pause großartig macht.
Dann schlägt die Stunde der auch schauspielerisch sehr starken Frauen. Die selbstbewusste Kriemhild (Nina Steils) kapiert das böse Spiel, vergisst alle Zickigkeit und verschwistert sich mit Brünhild. »Hier drin stinkt alles nach Verwesung«, findet sie angewidert. Alle müssen weg! Für den Mordplan eignet sich eine nächtliche Jagd. Das linke Drittel der Bühne wird zum Wald, darin eine Badewanne als Quelle, drum rum im Dunkel die Männer, gefilmt mit Nachtkameras und in Großaufnahmen auf den Rückprospekt projiziert. Das ist mehr Film als Action und anstrengend in der Wahrnehmung. Obwohl’s nur eine halbe Stunde dauert, zieht es sich, bis alle erlegt sind. Auch Kriemhild muss dran glauben. Ab und zu streift ein Wolf durchs Bild, denn »dort draußen lauern wölfische Zeiten«, verkündet die überlebende Brünhild. Die Nornen haben’s längst gewusst. ||
HILDENSAGA. EIN KÖNIGINNENDRAMA
Volkstheater | 13., 14., 31. Jan., 16., 27. Feb. | 19.30 Uhr | Tickets: Tel. 089 5234655
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