Eine großartige Ausstellung, eingerichtet aus Liebe zu den Dingen: Der Münchner Gestalter Bernd Kuchenbeiser präsentiert in der Villa Stuck über vierhundert Bücher und Schallplatten.
Bernd Kuchenbeiser
Schöne Formen sehen
Früher war nicht alles besser, manches aber schon. So gab es etwa Zeiten, da in Münchner Feuilletons auch Buchkunst und Schriftkunst behandelt wurden. Das ist lang her, weil auch Münchner Aussteller und Veranstalter sich diesen Themen nur noch selten gewidmet haben. Umso erfreulicher, ja verdienstvoll ist es, wenn nun das Museum Villa Stuck über viele Wochen hinweg auf zwei Etagen die Kunst von Bucheinbänden und Plattenhüllen zu Gast hat. Und das Projekt lag in den richtigen Händen: Der Münchner Gestalter, Bibliophile und Musikfreund Bernd Kuchenbeiser gehört zu den führenden Köpfen des zeitgenössischen Grafikdesigns, wofür er von der Stiftung Buchkunst schon mit etlichen Preisen belohnt wurde. Auch an seine Ausstellung formulierte er einen hohen Anspruch: Er wollte die Exponate nicht in Vitrinen zeigen, die wie Särge wirken können. Es sollte eine leichte und luftige Schau werden, die sich den Besuchern offen darbietet. Wie Kuchenbeiser bei der Vernissage erläuterte, grübelte er lang über ihren Titel. Schließlich nannte er sie »a big announcement« – folgt damit aber nicht dem unseligen, scheinbar weltoffenen Hang zum Englischen (siehe »Mix & Match« in der Pinakothek der Moderne), sondern will den im Internet geläufigen Titel selbstironisch verstanden wissen.
Eine solche Ausstellung von Druckwerken hat man noch nicht gesehen. Dabei hat sie einen poetischen Leitfaden: Es ist das Büchlein »Prima Facie: Marilyn’s Dress« von John Baldessari mit nur jeweils einer Zeile auf den 15 Doppelseiten, gedruckt auf 15 Farben. Von diesem minimalistischen Gedicht inspiriert, übernahm Kuchenbeiser die Gliederung wie auch die Präsentation. Von »Atmosphere« über »Beautiful in My Eyes« bis »Creative Thinker« sind die Kapitel überschrieben und die Wände der Villa Stuck in eine wechselnde Farbigkeit getaucht. Die rein assoziativ zugeordneten Exponate liegen auf langen Tablaren, über ihnen sind deren wichtige Daten an den Wänden zu lesen, gedruckt auf farbigen Papierbögen – bewundernswert die technische Leistung, wie präzis diese Bögen aufeinander stoßen.
Wer mit Kuchenbeiser vertraut ist, kennt ihn als leidenschaftlichen Liebhaber von Büchern und Schallplatten. Aus seiner riesigen Sammlung hat er exakt 432 Publikationen für die Schau ausgewählt, die ein Gemeinschaftswerk ist: Seine wichtigste Partnerin bei der Inszenierung war die Münchner Künstlerin Katharina Gaenssler, für die er auch die schweren Großformate gestaltet hat, die einen prominenten Platz einnehmen.
Was bietet diese Ausstellung einem Besucher, der kein Fachmann ist? Vor allem vermittelt sie einhundert Jahre Buchkunst und Typografie, sowohl in der Belletristik wie beim Sachbuch. Am Anfang steht »Die neue Typographie« von Jan Tschichold aus dem Jahr 1928, eine epochale Schrift mit großer Wirkung. In der Folge haben sich, wie die Schau zeigt, moderne Gestaltungsprinzipien weltweit verbreitet. Viele wichtige Gestalter von Büchern und Schallplattenhüllen sind vertreten, im deutschsprachigen Raum von Celestino Piatti, dem Hausgrafiker des dtv, bis hin zu Willy Fleckhaus, der jahrzehntelang das Erscheinungsbild von Suhrkamp geprägt hat. Mindestens einen unter den Großen allerdings vermisst man: Juergen Seuss, der intensiv für die Büchergilde Gutenberg gearbeitet und ihr zahlreiche Preise eingebracht hat.
Gleichwohl, an Entdeckungen und Überraschungen herrscht kein Mangel. Kuchenbeiser gibt als Absicht seiner Ausstellung an, »schöne Formen« sehen zu können. Und in der Tat ist sie eine Augenfreude. Dabei hat er nur wenige eigene Arbeiten aufgenommen. Doch immer wieder ist man verblüfft, dass genau diese ins Auge fallen. Im Kapitel »Avant Garde« etwa eine Kassette und eine CD-Box, die Kuchenbeiser für Aufnahmen des Art Ensemble of Chicago gestaltet hat (erschienen bei Erase Tape Records in Großbritannien und bei ECM Records in München). Oder im Kapitel »Fond Memory« der Einband eines Buches zum modernen Kirchenbau, bei dem lediglich die weiß gedruckten Nachnamen der Architekten auf schwarzem Grund stehen (erschienen im Prestel Verlag). Nicht zu vergessen die Publikation, die Kuchenbeisers Zusammenarbeit mit der Villa Stuck begründet hat: der Katalog »Rudolf Bott – Enduro«, bei dem das Kunststück gelang, die weißen Modelle des Künstlers vor hellem Grund zu fotografieren.
Zeitweise wird Bernd Kuchenbeiser während der Ausstellung in der Villa Stuck sein Atelier betreiben und Veranstaltungen anbieten. Ein Online-Kalender kündigt die Termine an. Vielleicht wird ja auch zur Sprache kommen, wie die Mehrzahl der Bucheinbände heutzutage aussieht: grell, dekorativ, beliebig. In Zeiten eben, in denen Vertriebsleute und keine Ästheten in den Verlagen das Sagen haben. ||
A BIG ANNOUNCEMENT
Museum Villa Stuck | Prinzregentenstr. 60 | bis 15. Januar
Di–So 11–18 Uhr | »Einblicke«-Führung: 9./30. Nov., 21. Dez., 11. Jan., jew. 16.30 Uhr | Veranstaltungstermine | Info und Tickets
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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