Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger sezieren in »Die Spiele müssen weitergehen – München 1972« die Blauäugigkeit, die zum Münchner Olympia-Attentat 1972 führte.
Die Spiele müssen weitergehen – München 1972
Komme, was wolle
Beinahe zynisch wirkt die zünftig-hippieske Fröhlichkeit, mit der die fünf Schauspieler*innen im Marstall die Spiele einläuten. Mit markigen Gesten und Sprüchen blicken sie ökonomischem Aufschwung und Zukunftsvisionen entgegen. In den knallbunten Farben des mittlerweile klassischen Designs von Otl Aicher treten sie auf, jede*r in einem andersfarbigen Jackett. Die Volunteers bei den Olympischen Spielen 1972 sollten eben nicht uniformiert daherkommen, auch die Sicherheitskräfte waren in Zivil und unbewaffnet. Doch das unpolitische und unmilitärische Ansinnen der olympischen Bewegung, es wirkt schon zu Beginn des Dokumentardramas »Die Spiele müssen weitergehen« aufgesetzt.
Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura feierten Ende September mit dem Stück Spielzeiteröffnung am Residenztheater – kurz nach der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Attentats auf die israelischen Sportler mitten im Olympiadorf. Das Regieduo hat sich für sein Stück durch Aktenberge gearbeitet, stieß auf eingenähte Seiten, die essenzielle Infos zur Aufklärung der Tragödie vom 5. September 1972 hätten liefern können. Bei ihren fünf Spielenden lassen sie zwischen abstrakten Sitzelementen und angedeutetem Sportequipment Ausschnitte aus Geheimdienstdokumenten, Zeitungsberichten und Interviews mit Angehörigen der Opfer, aber auch mit damaligen Politikern rezitieren. Der Aktionsradius von Anna Scheibe, Patrick Bimazubute, Florian von Manteuffel, Pujan Sadri und Thomas Reisinger bleibt dabei gering. Vielmehr machen Dura und Kroesinger sie zu Lautsprechern der vielen Quellen und Dokumente, die sie für diesen Abend gesichtet, geordnet und zueinander in Beziehung gebracht haben und hier nun zu einer Collage zusammensetzen. Die unendlich heruntergeratterten Vermerke und Notizen, sie machen die Ermüdung der Angehörigen spürbar.
Absichtlich nüchtern und bisweilen sogar spröde kommt dieser Abend daher. Es geht nicht ums Drücken auf Tränendrüsen, sondern um die Größenordnung und Tiefe des Versagens, das einerseits zu diesem Drama führte und dieses später in der Aufarbeitung zu einer Farce werden ließ. Kroesinger und Dura kommen zu einem ernüchternden Ergebnis: Das Ausmaß der Tragödie war enorm, die Strukturen dahinter allerdings beinahe gewöhnlich. Der Wunsch nach friedlichen Spielen, die Erinnerungen an Naziaufmärsche und Holocaust mit Weltoffenheit und Demokratie überdecken sollten, ließ die Behörden fahrlässig handeln. Doch das Wegsehen und Stillhalten, diese technokratische Selbstüberschätzung machten die Aufarbeitung zur historischen Farce. »Die Spiele müssen weitergehen.« Komme, was wolle. Die Collage all der Stimmen und Vermerke zeigen immer tiefere ethische Brüche, die eben bei allen Lippenbekenntnissen zum Unpolitischen ein Aufeinanderprallen von Ideologien offenbaren. ||
DIE SPIELE MÜSSEN WEITERGEHEN – MÜNCHEN 1972
Marstall | 3., 18. Dez. | 20 Uhr
(So 19 Uhr) | Tickets: Tel. 089 21851940
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