Die Gruppe FuturX sucht die Kippmomente in den drängenden Fragen der Gegenwart.

FuturX. »Kippen« im HochX

Überforderung durch Schnipsel

futurx

»Kippen«: Welcher Blickwinkel ist der richtige? | © Victoria Jungblut

Bei Kippen könnte man an achtlos weggeworfene Zigarettenkippen denken. Und so unpassend ist die Assoziation gar nicht. Denn auch da gibt es den einen Moment, bevor die Kippe in den Gully wandert und das Wasser vergiftet. Man hätte sie auch in einen Aschenbecher schmeißen können. Genau um diesen Moment geht es in der Performance »Kippen« der Gruppe FuturX.

Das Kollektiv, bestehend aus Paulina Platzer, Stefan Ammer, Alexandra Paal, Georg Gaigl, Sophie Gigou, Anastasiya Shtemenko, Fiona Grün und Lukas Schwermann sucht und untersucht die Momente in den drängenden Fragen der Gegenwart – Krieg, Klima, Selbstoptimierung, Kapitalismus und Genderthematik –, in denen etwas sich in die eine oder die andere Richtung entwickelt. Erkennen kann man diese Momente erst in der Rückschau, in der Flut der aktuellen Ereignisse gehen sie unter.

An die Performance rangetastet haben sich die acht, die aus den Disziplinen Musik, Theaterwissenschaft, Soziologie, Dramaturgie, Tanz, bildende Kunst, empirische Kulturwissenschaften und Schauspiel kommen, anfangs mit choreografischen Elementen, weil die den Kippmoment schön darstellen, sind dann aber von einer rein choreografischen Umsetzung weggerückt und haben eine Textcollage erstellt. Auch wenn der Krieg der bedeutsamste Kipppunkt ist, soll es aber kein moralisches Stück werden, sondern eher lustig, betont Regisseurin Paulina Platzer im Gespräch. Die Produktion unternimmt auch Ausflüge auf ein Aida-Kreuzfahrtschiff, in die Ratgeberliteratur, zu Selbstoptimierern und lässt den Trend zum Nacktwandern nicht aus.

Sie fragen: Wo hab ich was verpasst, wo hab ich nicht hingeschaut? Wie kann man sich in der Zeit von multiplen Katastrophen verhalten, ohne permanent ein schlechtes Gewissen zu haben? Permanent gibt es Neues, permanent muss man sich neu sortieren. Die Überforderung durch eine Flut von Informationen, hier ein Schnipsel, dort ein Versatzstück, wird durch Wiederholungen ausgedrückt, diese Wiederholungen erzeugen Kippmomente. Während der Text noch im vorigen Kapitel ist, ist die Choreografie schon im nächsten, die Projektion im übernächsten und die Musik im vorvorigen. »Immer wenn man denkt, man hat’s verstanden, dann ist es schon wieder anders«, beschreibt Paulina Platzer den Effekt. Analog dazu funktioniert auch die Musik. In einen elektronischen Klangteppich werden historische Aufnahmen von Volksliedern, die ihr Verfallsdatum lange überschritten haben, eingeflochten. Sie blitzen kurz auf, doch bevor man sie greifen kann, sind sie schon wieder verschwunden. Auch das ein Kippmoment. ||

KIPPEN
HochX | Entenbachstr. 37 | 18.–20. Nov. | 20 Uhr
Tickets: 089 90155102

Weitere Kritiken und Vorberichte finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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