Das Museum Brandhorst zeigt mit »Future Bodies from a Recent Past« eine beeindruckende Schau über das intime Verhältnis von Körper und Technik.

Future Bodies from a Recent Past

Vom Elektrokleid zum Avatar

future bodies

Jeamin Cha: »Nameless Syndrome« | Film Still | 2022 | © Jeamin Cha

Anziehen darf man es nicht. Nicht berühren. Auch nicht fotografieren. Aber es leuchtet nach drei Minuten Wartezeit auf, in bunten Farben: das Elektrokleid von Atsuko Tanaka. Mit seinen verkabelten Glühbirnen in vielen Formen und Farben beamte es die Kimono-Tradition in eine elektrifizierte Moderne. Und auf Fotos (oder Videos) von Walks und Tänzen mit dem »Electric Dress« (japanisch: Denkifuku, 1956) überträgt sich die Energetik dieser Assemblage und der Sensation und Dynamik, die diese Performances schufen. Die empfindliche Leihgabe ist einer der ersten Höhepunkte in der Ausstellung »Future Bodies from a Recent Past« im Museum Brandhorst. Die von Patrizia Dander und Franziska Linhardt kuratierte reichhaltige Schau widmet sich dem Verhältnis von Skulptur, Körper und Technologie in der Kunst seit den 1950er Jahren.

Das Werk der Avantgardistin aus dem Kreis der Gutai-Gruppe entstand 10 Jahre nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima – und denkt man, technologisch, weiter zurück, wird deutlich, dass um 1900 die Lebensreform-Bewegung und viele Künstler:innen – gegen die Beschädigungen durch Zivilisation – sich auf Ideale von »Natur« und »Natürlichkeit« beriefen und die Rettung vor der Industrialisierung im Körper suchten. Da hatte das Zeitalter der Ströme und Strahlen schon begonnen, in dem die Avantgarden der Moderne zur Gestaltung neuer Wirklichkeiten aufbrachen. »I sing the body electric« beginnt ein Gedicht Walt Whitmans aus den 1850er/60er Jahren, das die Physis des Menschen feiert. Und die Futuristen gaben sich dem Lärm der Großstadt und der Geschwindigkeit der Verkehrsmittel hin, der Beleuchtung, dem Geräusch, dem Motor, dem Tumult und dem Krieg. Entsprechend wurde in der Moderne der Körper als Kräftefeld verstanden, als von Technologien und Medien mit gestaltet, zu neuen Sensibilitäten aufgerufen.

Und die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg? Und die von heute? Im Eingangsraum trifft man auf eine Figuren-Parade seltsamer Kosmonauten des Alltags, die »Bródno People«, die der polnische Künstler Pawel Althamer 2010 gemeinsam mit sieben Menschen aus der Plattenbausiedlung des Stadtteils schuf, in dem er selbst aufwuchs: Selbstporträts von Opfern oder sich Rettenden auf dem Weg in eine seltsame Zukunft, allen voran ein Maschinenmensch aus Elektroschrott und Haushaltsgeräten und einer Waschmaschinentrommel als Kopf. Auf einer Wand im selben Raum verzeichnet eine imposante Auflistung die rasanten und tiefgreifenden technologischen Erfindungen, die unser Leben prägen. Dagegen wirken manche Kunstobjekte ein wenig ältlich: die zahlreichen Penisse etwa, die diverse Werke zieren und nicht unbedingt von einem reflektierten konzeptuellen Ansatz des Skulpturalen zeugen. Interesse wecken dagegen zahlreiche Exponate, die als Skulptur, Figur, Montage, Körper-Bild den »Menschen« inszenieren: Sei es eine als Gestalt wahrgenommene Collage aus Lastwagenreifenschläuchen, »Autorattristatrice N. 10« (1970), eine »Selbst-Betrübende« der Italienerin Carol Rama oder »Sheets Of Vagina (Second Present)« des Japaners Genpei Akasegawa, wo die aus Lastwagenreifenschläuchen zusammengenähten blutroten Stücke eine abstrakte, durchaus direkt an die Form der Geschlechtsteile anspielende Form ergeben, die mit einer Radkappe und Elektronenröhren bestückt ist sowie einer Pipette, aus der ursprünglich (1961) Salzsäure auf ein Objekt darunter tropfte.

Bei einer Montage der New Yorkerin Nancy Grossman aus Leder, Gummi und Metall auf Sperrholz verweisen Ketten, Riemen, Halfter und Etuis auf körperliche Lenkung, Einschränkung, Ermüdung und zugleich Aufladung durch Gebrauch. Der Titel »Potawatmi« (1967) lässt sich auf die indigene Gruppebeziehen und erhält so eine soziale Dimension – wie überhaupt Werke feministisch orientierter Künstlerinnen stark vertreten sind und tiefen Eindruck hinterlassen. Solche Haut und Hautnähe, Kontaktzonen von Innen und Außen ansprechende Objekte oder auch verfremdete menschliche Gegenüber-Figurationen wirken anders als die technischeren Konstruktionen und »posthumanen« Gestalten oder die auf das Digitalzeitalter reagierenden Arbeiten. Wie bei der großräumigen Installation von Mark Leckey »UniAddDumThs«, die seit 2014 Objekte aus Technologie- und Menschheitsgeschichte und Popkultur in Form von Reproduktionen kombiniert, lohnt es sich bei vielen Arbeiten, Zeit aufzuwenden und den aufgerufenen Kontexten nachzugehen. Zusätzlich gibt es im Medienraum ein Filmprogramm – der erste Teil bis 4. September präsentiert Videos von Jill Magid, Sondra Perry und Jeamin Cha, die sich mit der Entfremdung zwischen Subjekten und Körperbildern im Rahmen institutioneller Strukturen auseinandersetzen. Chas »Nameless Syndrome« (2020) etwa verknüpft Symptome, Diagnosen und Auswirkungen einer Krankheit mit Diskurs-Zitaten zu einer ungewöhnlichen Spurensuche. ||

FUTURE BODIES FROM A RECENT PAST – SKULPTUR, TECHNOLOGIE, KÖRPER SEIT DEN 1950ER-JAHREN
Museum Brandhorst | Theresienstr. 35a | bis 15. Januar
Di–So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Themenführungen (Teilnahmemarken 15 Min. vorher an der Infotheke): »Körperphantasmen« 13./27.8, 10./24.9., 8./22.10.; »Techniktaumel« 20.8., 3./17.9., 1./15./29.10., beide jew. 14 Uhr; »Skulptur und Materialität« 11./25.8., 8./22.9., 6./20.10., jew. 18.30 Uhr | Workshop »Robodada«, 21.8., 13–17 Uhr (40 Plätze, Vergabe am Factory­Raum, Online-­Buchung empfohlen) | weitere Workshops und Informationen | Der schöne Katalog (Deutscher Kunstverlag, 240 S., 200 Farbabb.) kostet im Museum 44 Euro

Weitere Artikel zu aktuellen Austellungen in München gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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