Regisseurin und Drehbuchautorin Doris Dörrie gehört mit ihrer unverwechselbaren Handschrift zu den wichtigsten Filmemachern Deutschlands. Mit Simon Hauck spricht sie über ihren neuen Film »Freibad«.
»Freibad« – Doris Dörrie im Interview
»Wer lacht, macht sich nackt«
Die Linie starker, eigensinniger wie tragikomischer Frauenfiguren durchzieht ihr gesamtes filmisches Œuvre beginnend bei »Mitten ins Herz» über »Bin ich schön?» bis hin zu »Freibad». Alle drei Filme wurden im Rahmen des 39. Filmfest München gezeigt, wo Ihnen die diesjährige Hommage gewidmet war. Wie erfinden Sie all diese gleichfalls faszinierenden wie komplexen Charaktere?
Doris Dörrie: Ich hatte diese beiden Filme für die Hommage ausgewählt, weil es zwischen den Frauenfiguren starke Verbindungen gibt. Einfache Antworten liefert keine dieser Figuren. Das deckt sich mit meinem Bestreben, ihre Ambivalenzen herauszuarbeiten, was mich besonders reizt. Das speist sich stark aus vielen Beobachtungen, aber natürlich auch aus Erfahrungen in meinem persönlichen Umfeld. Ich mache viele Notizen, die ich dann für die Entwicklung dieser Charaktere später wieder zur Hand nehme.
Wann waren Sie selbst das letzte Mal im Freibad? Inwiefern lassen sich diese weiblichen Figuren auch autofiktional lesen? Im Hinblick auf »Freibad» haben Sie einen sehr schönen Text für »Die Zeit» geschrieben, in dem Sie sich selbstkritisch und selbstironisch an Ihre Teenagerzeit im Freibad in Hannover zurückerinnern.
Ich bin ständig im Freibad. Der wesentliche Punkt ist aber die Pubertät, in der sich der Blick auf den eigenen Körper vollständig verändert. Plötzlich beginnt man sich zu vergleichen und gleichzeitig treffen einen die Blicke von Männern wie von Frauen, die den eigenen Körper ebenfalls begutachten und bewerten. Das war in meiner Jugend nicht anders und selbstverständlich ein prägender Moment. Seltsamerweise werden wir Frauen diese Bewertung unseres Körpers nie wieder los. Das ist schrecklich, weil sich dieses Bewerten und Vergleichen auch gesellschaftlich nicht mehr abschütteln lässt und sich heute mit Vehemenz in den Social-Media-Kanälen fortsetzt.
Wie frei und eigenständig fühlen Sie sich heute als Frau mit 67 Jahren?
Ich denke, dass ich das hier nicht genau beantworten muss, weil ich ja viel darüber schreibe. Zuletzt habe ich das in meinem Buch »Die Heldin reist« getan. Ich finde jedes Stadium des Lebens interessant. Zugleich geht es dabei immer um die Frage: Wie typisch bin ich für meine Generation? Welche Wahrnehmung habe ich von der Welt? Und welche hat sie von mir als Vertreterin einer bestimmten Generation? Das ist ein wechselseitiger und spannungsreicher Prozess.
In der Beschäftigung mit Ihrem umfangreichen Œuvre als Filmemacherin, Autorin, Regisseurin und Professorin sticht mir Ihr besonderer Eigensinn ins Auge. Ist das Ihr größtes Potential als Kreativschaffende?
Eigensinn ist natürlich ein interessantes Stichwort, weil es für uns Frauen wirklich im buchstäblichen Sinne weiterhin stark darum geht, den Sinn für sich selbst und die eigene Wahrnehmung bestimmen zu dürfen. Das ist in der Tat die zentrale Frage in all meinen Frauenfiguren. Inwieweit bestimmen sie wirklich ihr eigenes Leben? Inwieweit dürfen sie das? Inwieweit gehorchen sie Konventionen der Gesellschaft? Denken Sie zum Beispiel an die Anforderungen an junge Mütter und Frauen, die ins Berufsleben starten und so weiter. Da ist es für Frauen oft weiterhin schwierig, auf den eigenen Weg zu bestehen und eben eigensinnig und selbstbestimmt zu bleiben. Das sieht man aktuell beim Blick auf die Revision des Abtreibungsurteils in den USA: Jetzt sollen Frauen also schon wieder nicht über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen. Aber auch beim Blick in europäische Nachbarländer wie Polen oder Ungarn ist das sehr ähnlich: Hier wollen auch wieder Männer über den Körper der Frauen bestimmen und ihnen bewusst ihre eigenen Sinne rauben.
Wenn man den Filmtitel »Freibad« metaphorisch deuten möchte: Inwieweit ist es auch ein gesellschaftspolitisches Versuchslabor? Gibt es diese Freiheit nur als Utopie? Wie frei kann man in Deutschland leben?
Wir können hier frei und friedlich zusammen leben, wenn wir endlich akzeptieren, dass wir vielfältig sind, und wenn wir in der Lage sind, die Regeln für eine gerechtere Gesellschaft immer wieder neu miteinander auszuhandeln. Wenn wir dagegen versuchen auf alten Regeln und dogmatischen Auslegungen zu bestehen, wie das beispielsweise Eva im Film tut, dann kracht es! Mit Ausgrenzung beginnt jede Provokation, jede Aggression, jede Radikalisierung und jede Form von Hass. Es ist wichtig, dass wir uns der Auseinandersetzung nicht verweigern und offen miteinander umgehen. Das ist mühsam, kleinteilig und anstrengend, aber nur so können wir unsere Freiheit verteidigen. Wir dürfen nicht die Freiheit des einen gegen die Freiheit des anderen ausspielen. Noch können wir in Deutschland sehr frei leben: Das müssen wir aufs Heftigste verteidigen! Dafür müssen wir uns alle intensiv mit demokratischen Prozessen beschäftigen. Dazu gehören im Kleinen eben auch die miteinander ausgehandelten Regeln in einem Freibad.
Doris Dörrie im Interview zu ihrem Film »Kirschblüten & Dämonen«
Wann sind Sie das letzte Mal darauf gestoßen, dass Sie sich verbal beschränken oder politisch besonders korrekt verhalten wollten und dadurch genau das Gegenteil hervorriefen?
Spontan fällt mir dazu gerade keine konkrete Situation ein. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass ich immer wieder einräume, dass ich nicht alles weiß und gerne etwas dazulerne. Dafür waren gerade die letzten Jahre bestens geeignet, weil sich so viele Chancen ergaben, viel Neues dazuzulernen. Dafür bin ich persönlich sehr dankbar. Ich will auch gar nicht auf etwas beharren im Sinne von »Das war aber immer schon so!«, weil ich so eine Haltung kreuzlangweilig finde. So will ich überhaupt nie sein!
Die Deutschen und der Humor – das ist keine einfache Beziehung. Bei Ihnen darf auch in »Freibad« wieder laut gelacht werden. Was läuft da im deutschen Kino oft so verkehrt?
Die Zuschauer trauen sich zu lachen, was auf dem Filmfest München bei der Open Air Premiere mit 1000 Besuchern schon sehr schön mitzuerleben war. Wer sich das oft nicht traut, das sind die Kritiker*innen. Und das aus einem einfachen Grund: Wer lacht, der macht sich nackt, weil man das Lachen nicht zurücknehmen kann. Deshalb haben viele Kritiker*innen Probleme mit Komödien und mit dem Lachen an sich, weil sie sich damit outen. Wer einmal lacht, ist verratzt! (lacht) ||
FREIBAD
Deutschland 2022 | Regie: Doris Dörrie | Drehbuch: Doris Dörrie, Madeleine Fricke, Karin Kaçi
102 Minuten | Kinostart: 1. September
Website
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