Die Ausstellung »Karin Kneffel.Im Bild« im Franz Marc Museum in Kochel zeigt neben über dreißig Gemälden der Künstlerin Werke der klassischen Moderne, die man in ihren Bildern wiederentdeckt.
Karin Kneffel
Schöne Illusionen
Als Betrachter ist man in der Ausstellung »Karin Kneffel. Im Bild« im Franz Marc Museum in Kochel schon nach wenigen Schritten verloren, verwirrt, erstaunt, und das ist Teil der Faszination dieser Ausstellung. Wenn man etwa entdeckt, dass das Gemälde, das man gerade erblickt, genau den Museumsraum abbildet, in dem man sich soeben befindet. Oder ein Bild von August Macke oder Marc Chagall neben einem an der Wand hängt und etwas weiter auf einer Arbeit Karin Kneffels auftaucht. Oder wenn die Gerhard-Richter-Meisterschülerin, die auch bei Johannes Brus und Norbert Tadeusz studiert hat, Richters berühmte »Betty« auf Leinwand wiedergibt, umgeben von ihren Studenten, die dessen Geheimnis zu ergründen suchen. Karin Kneffel ist Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in München. Malerei sei das Medium, das die größte Freiheit gewähre, hat sie einmal gesagt, die zunächst Germanistik und Philosophie studiert hatte, und diese Freiheit kostet sie auf vielfältige Weise genussvoll aus.
Ausgangspunkt der Ausstellung ist eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotos, die Kunstwerke aus der Sammlung Hermann Lange in den Räumen der Villen Esters und Lange in Krefeld zeigen, die der Architekt Mies van der Rohe in den 1920er Jahren gebaut hatte. Karin Kneffel begab sich auf die Spur der expressionistischen Bilder, die auf den alten Fotos nicht immer leicht zu erkennen waren, und präsentiert sie mal an den früheren, mal an den heutigen Standorten in ihrer illusionistischen Malerei. Realität und Fiktion mischen sich dabei immer in ihren Bildern. Es geht ihr um Illusion, Täuschung, Lüge. »Der Raum im Bild wird zum realen Raum in meiner Malerei«, sagt die Künstlerin.
Den Betrachter hält sie dabei gerne auf Distanz, etwa durch eine gemalte Glasscheibe. Sie will niemanden überwältigen und in ihre Bilder hineinziehen. Es geht ihr um die Reflexion des Betrachters, der durchaus auch die Position eines Voyeurs einnimmt, der von außen in das Leben des anderen blickt. Dabei soll der Betrachter »die eigene Wahrnehmung als aktive Leistung empfinden«, wie es die Direktorin des Franz Marc Museums Cathrin Klingsöhr-Leroy formuliert, gerade auch, weil Effekte den Weg ins Bild versperren. Tatsächlich genießt es Karin Kneffel dabei, unseren Blick zu verunsichern. Wassertropfen mit Spiegelungen, Lichtreflexe, auch plötzlich auftauchende Smileys irritieren und schärfen den Blick. »Die Tropfen sind das Gegenteil von Realismus«, hat Kneffel einmal gesagt. Dass sie frei über die Räume verfügt, die sie ins Bild setzt, Skulpturen, Gemälde und Personen so platziert, wie es ihr gefällt, überrascht da nicht. Die Gegenwart holt, so könnte man sagen, die Vergangenheit der einstigen Schwarz-Weiß-Fotos ein, welche die Basis ihrer Gemälde bilden. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Bild, das einen Raum des Lehmbruck Museums in Duisburg mit einem gläsernen Kubus in der Mitte zeigt. Das Glas wird gerade gereinigt, die Scheiben zeigen eklatante Wasserspuren und die Silhouetten der Arbeitskräfte sind hinter der Scheibe zu erkennen.
Sie male eher Dinge, die ihr fremd sind, meint die Künstlerin. »Ich möchte einen fremden Blick auf die Dinge haben. Der Betrachter soll dann mit eigenen Augen das Ganze erblicken. Illusion, Täuschung, Lüge, eine alternative Welt halt. Das Nachdenken über Malerei spielt da natürlich immer eine entscheidende Rolle. Von Gerhard Richter habe ich gelernt, mir die Frage zu stellen: Was mache ich da eigentlich?« Das Bild einer brennenden Kerze von Gerhard Richter setzt sie eigenwillig in Szene, mit einer Glasscheibe und vielleicht ihrem eigenen Handabdruck.
Sie ist übrigens Linkshänderin und malt mit links. »Ich habe immer schon gemalt«, sagt sie, und einer der Gründe dafür ist wohl auch der, dass ihr Kunstlehrer das Zeichnen mit links akzeptierte, während alle anderen Lehrer eher gnadenlos das Umschwenken auf die rechte Hand forderten. Ihre Kindheit war dabei eher kunstfern. Das ist eine Weile her, seit 2008 ist sie Professorin an der Münchner Kunstakademie, vorher unterrichtete sie an der Hochschule für Künste Bremen. Und natürlich malt sie, bis zu 20 Bilder im Jahr. »Ich gucke als Malerin auf die Welt«. Bei ihren Studenten sucht sie das »Eigene, Merkwürdige, Absurde« und versucht ihnen zu helfen, ihren eigenen Weg zu gehen. Ihre einstige Schülerin Anna Krammig sagt, sie habe bei ihr gelernt, Distanz zur eigenen Arbeit zu wahren. Prägend sei aber auch Karin Kneffels ansteckende Lust darauf, im Atelier zu sein und zu malen. (Die Ausstellung »Anna Krammig, Nachleuchten« ist noch bis zum 30. Juli in der Münchner Galerie Andreas Binder zu sehen.) Karin Kneffel und ihre Studenten bilden eine verschworene Gemeinschaft, und ihre Schüler setzen bei den Ausstellungen der Akademie schon seit Langem wichtige Akzente. Um nur einige Namen zu nennen: Jonah Gebka, Alina Grasmann, Steffen Kern, Martin Spengler oder Sarah Zagefka. Felix Rehfeld allerdings bleibt es vorbehalten, auf einem (oder mehreren?) »Betty«-Bildern der Ausstellung zu erscheinen. Zu erkennen ist er in Rückenansicht für den Besucher allerdings nicht. An dem Zauber, den man nicht nur vor diesen Bildern der Schau empfindet, ändert das allerdings nichts. Selten wird man in einer Ausstellung so wunderbar seiner Betrachterrolle gewahr. ||
KARIN KNEFFEL. IM BILD
Franz Marc Museum | Franz Marc Park 8–10
82431 Kochel am See | bis 3. Okt. | Di bis So, Fei 10–18 Uhr | Führungen: So, 14 Uhr | der Katalog (Schirmer/Mosel, 104 S., 58 Abb.) kostet
39,80 Euro, im Museum 29,80 Euro
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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