Der Medienkünstler Tony Cokes aus Richmond ist im Haus der Kunst sowie im Kunstverein zu Gast. Ein Rezensions-Pingpong zwischen Ralf Dombrowski und Joachim Goetz.
Tony Cokes
Zitate, Fragmente, Momente
Alles ist auch schön bunt, im Luftschutzkeller aquamarin, eine Farbe des Denkens und der Reflexion. Tony Cokes ist ein Künstler der Inszenierung umfangreicher Botschaften und das Haus der Kunst unterstützt ihn in seinem Bedürfnis nach deiktischer Kommunikation mit deutlichem Licht. Man taucht als Besucher:in in die LSK-Galerie ein, optisch und akustisch gelenkt, denn aus Boxen pulsiert technoide Musik in die Katakomben. Man bekommt außerdem einen Audioguide überreicht, der in jedem Schlupfraum die Stücke wechselt, von Morrissey etwa zu Radiohead oder einer Playlist mit Industrial Techno. (rd)
Und dann geht’s hinein, in die aus Zitaten zusammengesetzte fragmentierte Chronologie des 20. und 21. Jahrhunderts von der Mitte der 1930er Jahre bis in die Gegenwart. Dabei interessieren Cokes keine linearen Abfolgen. Er zeigt, wie Bild und Klang zusammenspielen bei ideologischer Manipulation, bei Ausbeutung und Kriegführung innerhalb eines kapitalistischen Systems, das auf rassistischem Denken beruht. Am eindrücklichsten: das in sehenswerten Filmausschnitten gezeigte zerstörte München 1945. Das eigentlich nur noch aus unbewohnbaren Schuttbergen bestand, die Straßen und Grundstücke bedeckten. Dieser Schutt wurde etwa von den legendären Trümmerfrauen (zu denen auch einige übrig gebliebene Männer zählten) mit Hilfe von Trümmerbahnen aufs Oberwiesenfeld gefahren, dort bis in schwindelnde Höhen abgelagert. Woraus dann der heute so hoch geschätzte Olympiapark modelliert wurde für die heiteren Spiele 1972 in München mit der bitteren Note des von den Terroristen des Schwarzen September verübten Attentats auf die israelische Olympiamannschaft. Auch das und das von Otl Aicher entworfene visuelle Erscheinungsbild und Farbkonzept dieser Spiele wird von Cokes in seiner Arbeit »Some Munich Moments, 1937–1972« aufgegriffen. (jg)
Er agiert dabei als Synoptiker, ist aber Skeptiker. Cokes bringt zusammen, Texte und bewegte Bilder, Kontexte und historische Dokumente, Farben und musikalische Assoziationen, Räume und Erinnerungen. Aussagen entstehen über das Zusammenwirken der Medien, ein im Kern widersprüchliches Konzept. Seine Münchner Momente etwa kombinieren Filmsequenzen von 1937 vom Haus der Kunst und der Ausstellung »Entartete Kunst« in den Hofgartenarkaden (im heutigen Kunstverein) kurz nach deren Eröffnung und Bilddokumente Willi Cronauers vom zerbombten München 1945 mit der antifaschistisch und antinationalistisch verstandenen Farbgestaltung von Aichers Olympia-Design, Kommentaren Alexander Negrellis zu dessen ikonischen Bildideen, einer Technoplaylist »German Underground« und auch Donna Summers Discohit »I Feel Love«. Cokes setzt auf Erkenntnisgewinn durch Gleichzeitigkeit, muss aber die Steuerung der Bedeutung zumindest an der Oberfläche vermeiden, um seinerseits dem Vorwurf der Manipulation zu entgehen. Er weiß das, natürlich, und setzt daher auf die Pluralität der Wahrnehmung. Vieles auf einmal heißt aber auch alles irgendwie und nichts eindeutig. Medienkunst als Geblubber der Freiheit mit Semantik als individueller Option. (rd)
Trotz einer gewissen diagnostizierten Beliebigkeit dieser Kunst beinhaltet sie doch interessante Aspekte: Selten wurde die räumliche Nähe von Haus der Kunst und Münchner Kunstverein so deutlich wie in dieser ersten Kooperation der beiden Institutionen. Warum eigentlich? Hat der Bau des vielspurigen Altstadtrings die Sinne vernebelt? Die historische Verbindung sind die beiden Ausstellungen zur Eröffnung des Hauses der Kunst.
Als da wären: Die »Große Deutsche Kunstausstellung«, die zum zweiten»Tag der deutschen Kunst« mit einem monumentalen Festzug unter dem Motto »2000 Jahre deutsche Kultur« durch den »Führer« höchstpersönlich eröffnet wurde. Er hatte ja auch am Entwurf des faschistischen Musentempels kräftig mitgemischt, Hand angelegt. Zur Eröffnung formulierte er nun seinen »unerbittlichen Säuberungskrieg […] gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung«. Diese Elemente waren ab dem folgenden Tag – gedacht als Abschreckung – schräg gegenüber im Hofgarten zu besichtigen: die diffamierende, besonders hässlich präsentierte Ausstellung »Entartete Kunst«, die 600 (Haupt-)Werke des Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit präsentierte und mit über zwei Millionen mehr als drei Mal so viele Besucher zählte wie die Große Kunstausstellung.
Das bedeutendste Exponat der Ausstellung und wohl zum letzten Mal öffentlich zu sehen: Franz Marcs Ölbild »Der Turm der blauen Pferde«, das sich Reichsmarschall Hermann Göring unter den Nagel riss und das seit 1945 als verschollen gilt. Cokes sagt das so nicht, greift aber die Verbindung der beiden Häuser auf, trat in einen Dialog mit ihnen und ihren Archiven ein mit dem Resultat seiner gezeigten Neuproduktionen. Ein gelungener Kunstgriff dabei: die aus drei riesigen Tafeln bestehende Intervention im viel genutzten öffentlichen Stadtraum jener Unterführung, die als tiefer gelegte Fußgängerebene Hofgarten und Englischen Garten und damit eben auch Kunstverein und Haus der Kunst verbindet. (jg) ||
TONY COKES – FRAGMENTS, OR JUST MOMENTS
Haus der Kunst | Prinzregentenstr. 1 | bis 23. Okt. | tägl. außer Di 10–20 Uhr (Do bis 22 Uhr) | Tickets: 089 21127113 | Stadtspaziergang: 1.–3. Okt., 14–18 Uhr, Treffpunkt Haupteingang | Ticket am selben Tag gültig für beide Ausstellungen
Kunstverein | Galeriestr. 4 | bis 11. Sept. tägl. außer Di 12–18 Uhr (erster Do bis 22 Uhr) Veranstaltungen: Vortrag Noah Barker, 8. Sept., 18 Uhr; Buchpräsentation, 10. Sept., 18 Uhr
Weitere Ausstellungen können Sie in der kompletten Ausgabe entdecken. Hier geht es zum Kiosk.
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