Die Bühnen sind voll mit Männerbünden. Beim Tollwood sind ein paar prominente zu Gast, wie das Gespann Jeff Beck / Johnny Depp. Aber auch ein gewisser Herr Sting gibt sich die Ehre.
Sting, Jeff Beck und Johnny Depp auf dem Tollwood
Männer und Mythen
Der wilde Mann ist ein hartnäckiger Mythos. Im Unterschied zum strahlenden Helden, der archetypisch kulturübergreifend immer eine zwar hehre, aber auch lästige Form maskuliner Verantwortlichkeit verkörpert, hat sein im Schatten der Aufmerksamkeit agierendes Gegenüber mehr Freiheiten. Er ist eine anthropomorphe Gestalt mit naturnahen Kräften, ein metaphorischer und gerne stark behaarter Urmensch, ein wenig Dämon, aber auf seine Weise eigenwillig kultiviert. Er ist der freie Mann, der Eisenhans und Simplizissimus, weitab vom Regelwerk des Alltags, mehr Ent- als Alberich und mit sich so lange friedlich im Reinen, solange ihn niemand entgegen seiner Natur domestizieren will. Dem modernen Mann ist er als Vorbild des Unangepassten und konsumkapitalistisch Leidenschaftslosen abhandengekommen. Denn er passt nicht zu Strukturen des Gehorsams, zu den Ismen konfektionierter Verhaltensmuster. Und gerade deshalb ist er noch immer ein beliebter Mythos am Rande der gesellschaftlichen Duldung, verkörpert von gerne üppig hauptbehaarten Ledermännern auf präelektronischen Rumpelrädern oder vollkörpertätowierten Muskelbergen suburbaner Freizeitkörperlichkeit.
Ein weiteres Reservat des wilden Manns sind die Männerbünde der Rockmusik. Im Unterschied zum Lauch des Indiepops mit seiner spargelhaften Schlaksigkeit oder den Befreiungshedonisten des Hip-Hops gehört zur Ikonografie des alten, lauten, herben Sounds der oft fälschlich zum Helden fehlinterpretierte Rübezahl der Ruppigkeit, der mit urwüchsiger Wucht auf Trommeln eindrischt oder mit Stahlarbeiterpose Gitarren in Donnerstäbe verwandelt. Im Harten Metall floriert dieser Typus bislang noch am deutlichsten, zahlreiche rockende Derivate verändern und ironisieren ihn, ohne ihm aber zumeist den Charme des basisch Maskulinen nehmen zu können. Und das Bedürfnis des Publikums nach rudimentär authentischen wilden Männern ist nach der Käfighaltung der Covid-Jahre groß. Steine, Ärzte, Hosen füllen Stadien und sogar konvertierte Piraten sorgen für Stürme an Ticketkassen. Als Tollwood ankündigte, Johnny Depp würde zusammen mit Jeff Beck in der Musikarena Station machen, fing das Glasfaserkabel an zu flimmern.
Weiteres zum Tollwood 2022 hier im Artikel von Jürgen Moises
Dabei ist er letztlich eine mythisch tragische Gestalt. Weltbekannt wurde Depp als alberner Freibeuter und tollpatschiger Egomane auf Leinwänden der Postmoderne, der just auf dem Zenith der ironisierten Lässigkeit von dem um Längen cooleren Gesichtsältesten des Rock’n’Rolls Keith Richards entthront wurde. Das war ein Tiefschlag für den Künstlermythos, von dem er sich unter anderem zu erholen versucht, indem er den inversen Schritt wagt und wie schon einst in leidlich erfolgreich rockenden Jugendjahren mit Gitarre wieder in den Ring steigt. Ganz traut Johnny Depp dem eigenen wilden Mann jedoch nicht, und so dockt er an den früheren Yardbird Jeff Beck und dessen Combo an. Es ist eine verständliche Geste der Absicherung, die ihn künstlerisch jedoch in die Beta-Position der Band verschiebt. Depp ist eben doch der restdomestizierte Mime, dessen musikalisches Naturethos auf der Strecke descineastischen Erfolges geblieben ist. Dann lieber gleich einen richtigen Helden der Sparte, der in Sachen Selbstgestaltung alles richtig gemacht hat. Denn Sting glaubt man, was er spielt und singt. Er ist der Sankt Georg des Rock, ein Widerpart des Drachens der Niveaulosigkeit, der das Schauspielen schnell zugunsten der Musik aufgegeben hat. Sting hat Trends losgetreten, sich immer wieder künstlerisch gehäutet, nach Edelpunk und New Wave erst Jazzer in die Band geholt, dann John Dowland gesungen, mit Orchester gespielt und vor allem beständig beachtliche Songs geschrieben. Er braucht keinen wilden Männerbund, um seine Rolle zu verkörpern. Auch wenn es mal lustig wäre. ||
JEFF BECK & JOHNNY DEPP // STING
Tollwood | Olympiapark Süd | 13. // 16. Juli
19 Uhr | Tickets: 0700 38385024
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