Dario Argento will es mit 81 Jahren noch einmal wissen und serviert mit »Dark Glasses« sein Geheimrezept.
Dark Glasses
Blutiges Rom
Hurra, alles ist wie erwartet! Blutige Morde, schreiende Frauen, ein unbekannter Mörder, wunderbare italienische Architektur. Der Großmeister Dario Argento meldet sich nach zehn Jahren mit »Dark Glasses« auf der Leinwand zurück und widmet sich noch einmal dem Genre, das er in den Siebzigern mitbegründete: dem Giallo. Dabei handelt es sich um eine Unterkategorie des Thrillers, bei dem in der Regel begleitet von äußerster Brutalität und stilvoller Inszenierung ein kaltblütiger Verbrecher gejagt wird. Und wie schon erwähnt, dieses neue Werk zieht noch einmal alle Register, die man als Fan erwarten darf.
Die Handlung ist dann auch relativ schnell erzählt: In Rom treibt ein Killer mit weißem Lieferwagen sein Unwesen, der es in erster Linie auf Prostituierte abgesehen hat. Auch Diana (Ilenia Pastorelli) gerät ins Visier des Irren. Auf der Flucht wird sie in einen Autounfall verwickelt, der ihr das Augenlicht nimmt und ein chinesisches Ehepaar das Leben kostet. Nur ihr Sohn (Andrea Zhang) überlebt. Zwischen der blinden Frau und dem Waisenjungen entsteht nach und nach eine wirkliche Freundschaft, in der sie einander helfen, mit dem neuen Los fertigzuwerden. Doch der Irre hat noch lange nicht das erhalten, was er verlangt – und so beginnt die Jagd erst wirklich.
Wer nun mit dem Giallo-Genre nicht vertraut ist, wird hier sicher schnell überrumpelt, gelangweilt oder schlicht angewidert sein. Letzteres wahrscheinlich aufgrund der drastischen Gewaltausbrüche, die Argento gern in unbarmherzigen Nahaufnahmen inszeniert. Fast schon im Kontrast dazu stehen die Szenen, die in modischem Stilbewusstsein eingefangen sind und an die französische Cinéma-du-look-Bewegung erinnern. Es ist eben auch in »Dark Glasses« das, was schon Dario Argentos Klassiker wie »Suspiria« ausgemacht hat, die Nähe von Bahnhofs- und Programmkino. Und immer wieder gibt es auch hier Momente, in denen die Atmosphäre so dicht ist, dass man sie mit dem Schlachtermesser schneiden kann.
Da ist es auch zweitrangig, ob die Handlungen der Figuren immer logisch überzeugen, sie sich überhaupt entwickeln oder weite Strecken einfach abstrus sind. Wer sich mit der Filmografie des Meisters auskennt, meint immer, Querverweise auf frühere Werke zu erkennen, egal ob »Rosso – Farbe des Todes«, »Tenebre« oder »Vier Fliegen auf grauem Samt«. Und dann kommt auch noch eine wunderbare Gänsehautszene mit Wasserschlangen hinzu. Was kann man mehr verlangen? Nun, bei aller Liebe zum ästhetischen Abstechen, etwas mehr hätte es jedoch schon sein dürfen. Der Spannungsbogen zeigt immer mal wieder Dellen der Ermüdung. Die Stärke von »Dark Glasses« liegt in einzelnen Momenten. Die sind dafür jedoch so stark, dass man als Liebhaber auf jeden Fall auf seine Kosten kommt. So ist dieser Film zwar kein spätes Meisterwerk Argentos, doch ein würdiger Abschluss seiner Karriere. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, ob der Regisseur mit 81 Jahren auch in Zukunft noch das Genre am Leben erhalten wird, ist fraglich. ||
DARK GLASSES
Italien, Frankreich 2022 | Regie: Dario Argento | Mit: Ilenia Pastorelli, Andrea Zhang, Asia Argento u.a. | 90 Minuten
Kinostart: 16. Juni
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