Das Jüdische Museum folgt in einer Ausstellung den Spuren von Johanna Spyris Roman »Heidi« in Israel.
Heidi in Israel
Mehr als Berge
Heidi in Israel? Heidi in Israel. Und wie! Das Jüdische Museum widmet der Heldin des Romans der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri eine ganze Ausstellung. »Heidi in Israel. Eine Spurensuche« firmiert unter der Leitung des Zürcher Heidi Heritage Project Heidiseum, eingängig kuratiert von Nurit Blatman. Sie arbeitete dabei eng zusammen mit Peter Büttner, seines Zeichens Literaturwissenschaftler und Mitbegründer des Heidiseums. Kennengelernt hatten sie sich bei der Zürcher Ausstellung »Heidi in Japan«.
Was man zunächst als kuriose Randnotiz in der kurzen Geschichte des Landes Israel wahrnehmen möchte, erweist sich als ein weitverbreitetes Sehnsuchtsmotiv mit bedeutungsschweren Ingredienzien, die dort generationenübergreifend bis heute gut ankommen. Heidi ist ein Waisenkind wie es auch die meisten überlebenden Kinder der Schoah waren, die in Israel eine neue Heimat fanden. Auch Heidi ist ein Kind, das sich mit Einsatz aller (emotionalen) Kräfte seinen Lebensweg bahnt. Heidis Welt, die Schweizer Alpen mit ihren saftigen Wiesen, in der ersten Ausgabe sattfarbig illustriert von dem Münchner Friedrich Wilhelm Pfeiffer, liest sich als ein Paradies, eine Art Utopia in einem Land, das der Wüste abgerungen ist. Und dann füllt die Ausstellung auch noch eine Lücke, die selbst Wikipedia bisher nicht schließt. Denn da findet man nur Heidi in Japan.
Alles in allem könnte man bei näherer Betrachtung des Sujets annehmen, dass deutschsprachige Einwanderer nicht allein ihren Goethe im Gepäck hatten, sondern eben auch den zweibändigen letzten großen Heimatroman aus den Jahren 1880 und 1881. Das war vor den Weltkriegen und vor der Schoah. Die Ausstellung »Heidi in Israel. Eine Spurensuche« spürt ihm nach, dem Heimweh, lässt sie fühlbar werden, die Sehnsucht, die in dieser Geschichte breiten Raum einnimmt. Eine Sehnsucht nach Menschen und ihren Landschaften, wie sie Flüchtlinge, die dann zu Einwanderern und schließlich zu Einwohnern werden, im Land ihrer Zuflucht nur allzu gut kennen. So ist es kein Zufall, dass »Heidi« 1946 als »Heidi, Tochter der Alpen« (und späterhin »Heidi, Tochter der Berge«) erstmals ins Hebräische übersetzt wurde, damals noch in Palästina. Der Schriftsteller und Kafka-Herausgeber Max Brod etwa hat das Buch seiner Nichte Eva Hoffe zum zwölften Geburtstag geschenkt. (Die erste israelische Ausgabe erschien nach der Staatsgründung 1948.) Max Brod schrieb seine Widmung in Ivrit und titulierte seine Nichte mit ihrem hebräischem Namen Chava. Wohl eine Verneigung vor dem Land, das den glühenden Zionisten auf der Flucht 1939, nach Hitlers Besetzung der Tschechoslowakei, aufgenommen hatte.
Man werde zumindest den Namen Heidi auf Hebräisch identifizieren können, nachdem man alle Stationen im ersten Stock des Jüdischen Museums absolviert hat, sagt Museumsdirektor Bernhard Purin. He, yod, yod, dalet, yod: Heidi. Das sonst unübliche doppelte yod nach dem he erklärt er mit der Aussprache, denn mit nur einem yod läse sichder Name in der hebräischen Transkription »Hidi«. Es sind viele verschiedene Buchumschläge, auf denen man den Namen Heidi lesen kann. Sehr bunt sind sie fast alle, aber Heidi sieht jedes Mal anders aus: kurz- oder auch langhaarig, blond oder auch schwarz, lockig oder auch glatt frisiert. Das Heidi-Bild variiert demnach stark, ohne dass sich darin irgendwelche Moden erkennen ließen. An den verschiedenen Übersetzungen hingegen lassen sich zeitbedingte politische Übereinkünfte ablesen. In der ersten hebräischen Ausgabe hatte man Heidis Familie nicht den deutschen Namen Sesemann belassen, sondern ihr einen französischen Namen gegeben. Heidi träumte sich auch nicht in Frankfurt, sondern im schönen Venedig oder der »großen Stadt« zurück zum Alpöhi, dem Geissenpeter und den Bergen. So kurz nach der Schoah erschienen deutsche Namen, zumal in einem Kinderbuch, nicht angemessen zu sein. Allein die ekelhafte Gouvernante, das Fräulein Rottenmeier, behielt ihren deutschen Namen bei. In allen späteren Ausgaben bekamen dann die Figuren und Schauplätze ihre Originalnamen zurück.
Was blieb und was bleibt, sind die Themen Heimat, Heimatverlust und Neubeginn, die Heidi in allen Höhen und Tiefen durchlebt, damit können Kinder wie auch Erwachsene bis heute in Israel etwas anfangen. Und es ist ja nicht allein das Buch, das nach wie vor ein großes Publikum anzieht. Ein ungeschlagener Kassenrenner war der Film »Heidi« aus dem Jahr 1937 mit Shirley Temple als Titelfigur. Es gibt israelische Heidi-Filme. Es gab Heidi auf dem Theater in Rishon LeZion. Oder auch eine Version der Kibbutz Contemporary Dance Company im Kibbutz Ga’aton in Westgaliläa, wo der Alpöhi aussieht, als trüge er Schläfenlocken … 2020 kam eine brandneue hebräische Übersetzung von »Heidi« heraus, die von Hanna Livnat, die sämtliche bisherigen (ideologischen oder religiös bedingten) Eingriffe unterließ und sich so eng wie möglich ans Original hielt. Hinzu kommen noch »Heidiaden«, also Fortschreibungen des Originals, bereichert um Heidis Kinder oder Heidis Gäste. Dass Heidi längst schon auf Schallplatte, als Comic, als Zeichentrickfilm und im Netz zu haben ist, versteht sich von selbst. Hinzu kommt im Jüdischen Museum ab 11. Mai die Fotoserie »Heidi in Israel« als Kunstinstallation von Niv Fridmann. ||
HEIDI IN ISRAEL. EINE SPURENSUCHE.
Eine Ausstellung des Heidiseums in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum München
St.-Jakobs-Platz 16 | bis 16. Oktober | Di bis So 10–18 Uhr | Rundgänge: Sa/So 13.30–14.30 Uhr; Familienrundgang So 12.6./3.7./7.8./4.9./2.10. 11–12 Uhr (gratis, nach Vorabanmeldung) | Der Katalog zur Ausstellung (Wehrhahn Verlag, 264 Seiten) kostet im Museum 16,60 Euro (Buchhandel 22 Euro)
Weitere Texte zu Ausstellungen in München finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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