Arno Friedrich inszeniert und kommentiert »Parzival« im Theater Viel Lärm um Nichts »postheroisch«.
»Parzival« im Theater Viel Lärm um Nichts
Irrungen und Wirrungen
Die Einöde von Soltane, in der Parzival aufwächst, ist offenbar ziemlich (baum)artenreich. Sumpfeiche, Kaiserlinde, Flatterulme … Nicht von jedem dieser Waldriesen hat man schon gehört. Und Phäno- wie Genotypen bleiben auch im Theater Viel Lärm Um Nichts im Dunkeln, wo die Namen der Bäume nur als blaue Laufschrift über schwarzen Grund tickern.
Regisseur Arno Friedrich hat sich die Heldenerzählung, die Wolfram von Eschenbachs mittelalterliches Epos wie Richard Wagners Opernfantasie angeregt hat, gut gelaunt zur Brust genommen und als ironische Clownerie wieder ausgespuckt. In seiner »postheroischen« Bühnenadaption trippeln die Schauspieler*innen Wini Gropper, Pia Kolb und Sarah Schuchardt im Minipulk auf die Szenerie; Gropper ganz im schillernden, aber home-office-schluffig weichen Silbergewand zwischen den mit Kriegsbemalungsrouge geschminkten Frauen eingeklemmt. Diese Dreieinigkeit hat nun gut zwei Stunden Zeit, den jungen Parzival aus der Unmündigkeit hinaus zu führen, in der ihn seine Mutter Herzeloyde hat groß werden lassen, damit ihm der Rittertod seines berühmten Vaters Gahmuret erspart bleibe.
Schon in Wolfram von Eschenbachs 25000 Versen geht es danach drunter und drüber. In Friedrichs nicht nur personell stark reduzierter Fassung werden dazu noch munter die Rollen gewechselt, was (wie auch die häufigen Ortswechsel) ebenfalls die Laufschrift anzeigt – und ein entkernter VW-Käfer, den das Team auf Einkaufswagenrollen über die Bühne schiebt und zieht, fungiert als edles Ross, fahrendes Rüstungssymbol und Musikinstrument.
An der Musik unter der Leitung von Aaron Leutz am Modularsynthesizer und Sascha Luer, der eine wunderbar weiche Trompete spielt und seinem Klavier die melancholischsten Töne entlockt, kann man sich prima festhalten, wenn man den Überblick über die sich wild verknotenden Erzähl- und Kommentarfäden verliert. Sie und der spielerische Umgang mit Requisiten sind das große Plus des Abends. Die auch singenden Akteure greifen selbst zu Schlagzeug oder Akkordeon und halten an Artus’ Tafelrunde Metallstrohhalme zur Abstimmung hoch. Worum aber geht es eigentlich in diesem spielfreudigen Tohuwabohu? Um ein Plädoyer für den Blick auf die Welt aus den Augen eines Narren, dessen Geschichte des Scheiterns und letztendlichen Triumphierens zusammengehalten wird durch einen »krassen Freiheitsdrang«? Darum, wie selbst die eigenen Werte und etwas scheinbar so zeitloses wie Empathie von den gesellschaftlichen Konventionen geformt wird? Oder trotz all dieser aufgeworfenen Fragen doch nur um das Erzählen selbst? Es zeugt von einer gewissen Chuzpe, wie hier das Sterben eines Einzelnen in die Länge gezogen und eine dreijährige Ritterausbildung in ein kurzes Ballett gepackt wird. Und wie der Abend – wie von Eschenbach, wie Wagner – kein Ende findet, sondern mindestens drei. Parzivals Entwicklungsgeschichte vom tumben Toren, der unschuldig schuldig wird, weil er die falschen (alten) Gebote befolgt, zum Gralshüter, der Verantwortung übernimmt, geht einem dabei verloren. Und wirklich näher an heutige Regel-Clashs und Erlösungssehnsüchte führt einen der Abend auch nicht heran. Er zeigt uns Irrungen und Wirrungen, wenn auch recht amüsante.
Der die Inszenierung flankierende Film »Entfiederung des Schwans« ist auf der Website abrufbar. ||
PARZIVAL
Theater Viel Lärm um Nichts | Pasinger Fabrik | bis 28. Mai
Do bis Sa 20 Uhr (nicht 5.–7. Mai) | Tickets: 089 82929079
Weitere Theaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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