Keine Zeit verlieren! Die kleine aber exquisiste Ausstellung »Venedig. La Serenissima« ist nur noch diese Woche in der Pinakothek der Moderne zu sehen.

Venedig. La Serenissima

Die Muskeln des Gondoliere

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Giovanni Battista Piranesi (1720–1778): »Figurenskizze (Gondoliere)« Feder in Braun, 146 x 90 mm

Venedig ist ein steingewordener Traum. Seit der ersten Besiedlung um 900 wuchs im Laufe weniger Jahrhunderte aus vielen kleinen Laguneninseln ein urbanes Zentrum. Auf unzähligen eingerammten Eichenpfählen entstanden massive, prächtige Gebäude. Kanäle wurden zum Teil aufgeschüttet, waren und sind aber bis heute die einzigen Verkehrswege. Im 15. Jahrhundert lebten dort um 150000 Menschen, die Stadt war das wichtigste Handelszentrum des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Mit der Eroberung durch Napoleon 1797 verlor die Adelsrepublik ihre wirtschaftliche Bedeutung, die allmählich durch den Tourismus ersetzt wurde. Heute gibt es nur noch 50000 Einwohner, weil sich niemand mehr die Lebenshaltungskosten leisten kann. Dafür wird die Stadt täglich von bis zu 200 000 Touristen überflutet. Dass Venedig in großen Teilen immer noch so aussieht wie vor Jahrhunderten, liegt daran, dass es sich räumlich nicht ausdehnen kann. Natürlich sind die umliegenden Inseln wie der Lido oder die Giudecca zunehmend erschlossen worden, doch das Centro Storico ist baulich weitgehend gleichgeblieben. Und wenn man sich nachmittags auf einem Campo in die Sonne setzt, den Blick leicht verschwimmen lässt, kann man sich die Menschen in Barock-Kostümen vorstellen und auf Zeitreise gehen.

Deshalb faszinieren auch heute die historischen Ansichten und Veduten der Stadt noch so, weil das meiste darauf wiedererkennbar ist. Mit solchen Darstellungen empfängt die Ausstellung »Venedig. La Serenissima« in der Pinakothek der Moderne den Besucher. Aus den Beständen der Graphischen Sammlung hat Kurator Kurt Zeitler Zeichnungen und Druckgrafik vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zu einer kleinen, erlesenen Schau in drei Räumen versammelt. Von Barbaris berühmter Vogelschau der Lagunenstadt als zwei ineinander verbissene Fische aus dem Jahr 1500 erläuft man sich im Entree die Architektur mit Stadtpanoramen von Carlevaris und Canaletto, Marieschi und Brustolon. Der Venedig-Gast kennt vieles: Hier hat man schon mal im Café gesessen, dort fährt man immer im Vaporetto vorbei! Ein schönes Ankommen im Herzen der Kunst.

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Leben in Ruinen: Der Palast mit zugemauerten Fenstern neben antiken Gebäuden im Verfall, das Licht erloschen – Antonio Canal, gen. Canaletto (1697–1768): »Der Portikus mit der Laterne« um 1741, Radierung, 302 x 430 mm (Platte)

Denn La Serenissima, die Allerdurchlauchtigste, war als Handels-Weltmacht auch ein Magnet für alle bedeutenden Künstler Europas. Dürer verbrachte hier zwei Jahre. Tizian, Tiepolo, Bellini, Canaletto und viele andere, deren Namen meist nur noch Kunsthistorikern geläufig sind, arbeiteten hier. Die reichen Patrizier und die religiösen Bruderschaften ließen sich die Ausstattung ihrer Paläste und Scuolen etwas kosten (wie z. B. die Scuola Dalmatina mit ihrem Carpaccio-Zyklus über den Drachentöter St. Georg). Tizian und Bellini haben sich in der Frari-Kirche verewigt, Tintoretto gestaltete die Scuola di San Rocco. Tiepolo war ein begehrter Porträtmaler, er porträtierte u.a. die Kurtisane Angela Moro als »Venus von Urbino«. Und alle haben natürlich neben ihren großen Gemälden auch Zeichnungen und Grafik erschaffen. Der Vedutenmaler Canaletto hielt nicht nur prägnante Blicke und berühmte Gebäude fest, sondern komponierte in seinen Radierungen auch fiktive Ansichten aus »typisch« venezianischen Elementen, antiken Relikten und Motiven des Alltags. In Raum II hängt Tiepolos Radierungszyklus »Vari Capricci« (spielerische »Launen«, so ließe sich der Begriff Cappriccio übersetzen): mythologische Szenen neben idyllischen Landschaften, Hirten neben Fantasie-Tempeln. Und danach geht’s ums Menschliche mit wunderbaren Porträts von Teodoro Viero: Sie blicken einen an wie Alltagsmenschen von heute. Ein Friseur ist ermattet in seinem Stuhl eingenickt. Piranesi hat den Rücken eines Gondoliere so gezeichnet, dass man die Muskeln in Bewegung zu sehen glaubt. Ein Muskelpaket hat auch El Greco in seiner einzigen aus Venedig erhaltenen Zeichnung studiert. Und der Flame Lodewijk Toeput gibt mit einem bunten Feder-Aquarell in einer Gondel der Liebe eines Pärchens Platz, das ursprünglich sogar durch ein aufklappbares Deckblatt vor neugierigen Blicken geschützt war.

Es sind enorm viele Feinheiten und Details zu entdecken in dieser exklusiven Auswahl. Ganz intensiv vertiefen kann mansich nach der Ausstellung in den voluminösen, reichhaltigen und informativen Katalog. ||

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Lodewijk Toeput, gen. Il Pozzoserrato (1540/50–1604/05) zugeschrieben: »Gondel mit Liebespaar, einem Musiker und zwei Gondolieri« um 1600 | Feder in Braun, Aquarell und Deckfarben, Goldhöhung, auf Pergament, 131 x 189 mm | © Staatliche Graphische Sammlung München (3)

VENEDIG. LA SERENISSIMA
Pinakothek der Moderne | Barer Str. 40 | bis 8. Mai
tägl. außer Mo 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Katalog: Deutscher Kunstverlag, 352 Seiten, 258 Abb., bis 8. Mai 48 Euro, danach 62 Euro

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