Warum die Feiertage nicht der Kunst widmen? Die Lothringer 13 Halle zeigt die Werke der für die Förderpreise nominierten Künstler und Büros.
Förderpreise der Landeshauptstadt München
Zunderschwamm und Zwangsarbeit
Wer sie gewinnt, weiß man heute noch nicht – aber spätestens am 5. Mai. Denn da findet die Verleihung der alle zwei Jahre ausgelobten Förderpreise der Stadt München statt. Jetzt kann man sich in der Kunsthalle Lothringer 13 allerdings schon mal einen Überblick über die neuesten Ideen in Sachen Kunst, Architektur, Design, Fotografie und Schmuck verschaffen. Gezeigt werden Arbeiten von 30 Kreativen, die von fünf Jurys für die mit jeweils 8000 Euro dotierten Preise nominiert wurden.
Als Erstes fällt auf, dass man ohne das informative Booklet aufgeschmissen ist. Weil man den Arbeiten nur bedingt ansieht, in welche Kategorie sie gehören. Und weil zur Eröffnung noch keine Namen an den teils raumgreifenden Kreationen angebracht sind. Aber Namen sind ja Schall und Rauch – und so kämpft man sich durch dieses bunte Nebeneinander bildender und angewandter Künste.
Am besten geht’s gleich abwärts über die steile Treppe in den Keller. Denn dort hat Sebastian Thies, studierter Schuhdesigner und Schuster in der sechsten Generation, eine Installation seiner Entwürfe aufgebaut. Sein Ziel ist es, mit ressourcenschonenden Prozessen und neuen Technologien etablierte Praktiken infrage zu stellen. Die aufgezeigte schier grenzenlose Materialwelt hat er auf Reisen in der ganzen Welt entdeckt und für sein Schuhdesign nutzbar gemacht. Sneaker aus Ochsenblut und Meteoriten sind die Speerspitze. Werkstoffe aus der Vergangenheit – etwa Zunderschwamm, Heuwiese oder Milchfilz – hat er ebenfalls in seinem Repertoire. Seine Produkte sind inzwischen in internationalen Museen und Stores zu finden.
Roman Leonhartsberger zeigt auf seinem Monitortableau in legendären Städten gedrehte legendäre Filme. Um uns dann die Frage zu stellen: Welche Städte hast du nur im Kino gesehen? Der Architekt arbeitet an der Schnittstelle von Architektur und Stadt und versucht die Frage zu beantworten: Wie kann Stadt als gemeinsame Umgebung produktiv diskutiert und weiterentwickelt werden?
Die Ukraine fehlt freilich auch nicht. Der Geschichte des ukrainischen Dorfes Jewmynka spürte Sima Dehgani fotografisch nach. 1943 wurden fast alle Bewohner verschleppt, um – teils in München oder Neuaubing – als Zwangsarbeiter zu dienen. Nach ihrer Rückkehr standen sie zu Sowjetzeiten unter dem Verdacht, mit dem Feind kollaboriert zu haben. Das Thema war lange tabuisiert. Dehgani dokumentiert Geschichten und Erinnerungen und auch aktuelle Lebensrealitäten von Zeitzeugen und deren Familien.
Auch kritische Positionen zum Kunstmarkt und zu Mechanismen in der Kreativbranche sind zu finden. Albert von Stein etwa widmet sich den Konventionen und Praktiken des Kunstmarkts, dem Wert eines Kunstwerks – und in seinen Arbeiten dreht er das irgendwie um. Zuerst stellte er sich die Frage: »Ist eigentlich das auf dem Bild Abgebildete das Wichtige oder ist der Preis des Bildes das Wichtige?« Angeregt wurde er durch den peruanischen Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der einmal äußerte: »Der Wert eines Kunstwerks bemisst sich nach seinem Preis, nicht etwa umgekehrt.« Durch die Abbildung unter anderem von Geldscheinen in verschiedenen Anordnungen verleiht von Stein seinen Kunstwerken einen konkreten Wert und legt damit gleichzeitig ihren Preis fest.
Carlota Barberán Madruga und Anna Rosa Schreiber stören sich daran, dass Frauen in der Kreativbranche so unglaublich unterrepräsentiert sind. Zwar sind 60 Prozent aller Designer Designerinnen – aber nur 29 Prozent in der Position des Creative Directors. Und nur 0,1 Prozent der Designbüros und Agenturen werden von Frauen gegründet. Die beiden wollen das ändern. Sie gründeten 2021 das Netzwerk »FÆMME«, das Frauen der Branche unterstützen und auch sichtbar machen soll. Geplant sind Veranstaltungen wie Vorträge, Diskussionen, Workshops. Und das erste »FÆMME-Festival« hat letztes Jahr bereits stattgefunden.
Aber es gibt in diesen schweren Zeiten – von denen wir ja mit Ausnahme von Verteuerungen bei Sprit und Sonnenblumenöl noch gar nicht besonders betroffen sind – auch unbeschwertere Arbeiten. Etwa »Vakubum« von Melina Hennicker & Michael Schmidt. Thema: Zwei Personen »produzieren und konsumieren sich« auf einer runden gepolsterten Insel bei einem Video mit Musik und Text. Die Künstler resümieren: »Die Arbeit spricht die Rezipierenden im besten Fall körperlich an, will ans Gefühl, ist ernsthaft in der Sache und macht hoffentlich Spaß.« Am besten lässt es der Betrachter auf sich wirken – wie auch die ganze Ausstellung. Langweilig wird es in dieser Leistungsschau der Münchner Kreativenszene so schnell keinem. ||
FÖRDERPREISE DER LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN 2022
Lothringer 13 Halle | Lothringer Str. 13
bis 15. Mai | Mi bis So 11–19 Uhr, Eintritt frei
Preisverleihung: 5. Mai, 19 Uhr
Weitere Kritiken zu Ausstellungen in München gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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