Es rührt sich was in der Planung für ein Tanzhaus in München: Drei mögliche Standorte präsentiert eine Machbarkeitsstudie im Auftrag des Kulturreferats. Und es gibt einen Favoriten.
Tanzhaus München
1, 2 oder 3 …
Kulturreferent Anton Biebl bricht eine Lanze für den Tanz. »Ist München eine Tanzstadt?«, fragt er am Ende einer gut zweistündigen Veranstaltung im Vorhoelzer Forum der TU München. Es ist eine rhetorische, auch ein wenig provozierende Frage, die er gern endlich aus vollem Herzen positiv beantwortet wüsste. Zeitgenössischen Tanz gibt es in München inzwischen an vielen Orten: in den Kammerspielen, im Residenztheater, im neuen Schwere Reiter, im HochX, in der nunmehr Utopia genannten Reithalle. Auch in der Muffathalle, die Dietmar Lupfer seinerzeit, vor gut 30 Jahren, gern als Tanzhaus gesehen hätte. Er beherbergte Rui Horta und Richard Siegal als Choreografen in Residenz und zeigt nach wie vor Tanzgastspiele. Die Muffathalle hätte allerdings ein entscheidendes Manko gehabt: keinen Raum für Studios. Biebl aber will mehr, will alles, nämlich ein Haus, in dem der Tanz den Ton angibt. Nun sind zumindest die Weichen dafür gestellt.
Dem Kulturreferat allerdings war es lediglich karge 10.000 Euro wert, eine Machbarkeitsstudie für ein »Tanzhaus in München« erstellen zu lassen. Dafür haben dann Walter Heun und Stefan Sixt geklotzt. Der eine, Heun, referierend in seiner Funktion als Gründer und erster Vorsitzender des Bayerischen Landesverbands für zeitgenössischen Tanz (BLZT), der andere, Sixt, als dessen zweiter Vorsitzender, haben auf 3000 Seiten niedergelegt, was sie und Koordinatorin Gabi Sabo in rund 300 Interviews bundesweit und europaweit erfragt und als unbeirrbare Trüffelsucher im immobilienknappen München zutage gefördert haben mit dem Fazit: Ja, ein Tanzhaus ist machbar.
Die möglichen drei Standorte für ein Tanzhaus in München, die von ursprünglich 40 übrig sind, bezeichnen sie als »Visionen«, also Wunschbilder, die in ferner Zukunft realisiert werden könnten. Anton Biebl und Walter Heun aber werden heuer 60, Stefan Sixt wird 67. Und alle drei wollen das reale Tanzhaus in vollem Betrieb noch erleben, also müsste einer der Pläne in naher Zukunft verwirklicht werden. Und nicht erst in 20 Jahren. So lange aber würde es laut Heun dauern, bis das – Vorschlag Numero 1 – »urbane Zentrum« auf dem Viehhofareal eröffnet werden könnte. Dabei wäre die vielgestaltige Nachbarschaft reizvoll – zum einen durch das seit seiner Eröffnung im Oktober 2021 stürmisch angenommene Volkstheater. Das Tanzhaus dort würde ein »Ort der Begegnung und Integration der (neuen) Bevölkerung«, wo »Choreografie und die visuellen Künste in Resonanz zu aktueller Clubkultur die Wege der visuellen Künste erschließen – mit DJs, VJs, Visualisten und neuer Medienkunst«, steht im Papier. Im Paketpostareal, potenzieller Standort Nummer 2, korrespondierte ein Tanzhaus mit der neuen Konzerthalle und der Paketposthalle nach den Plänen von Herzog & de Meuron und könnte in ungefähr zehn Jahren eröffnet werden. Hinzu kommt, dass an diesen beiden Standorten das volle Engagement der Investoren gefragt wäre.
Bleibt als dritte Möglichkeit für den ersehnten »Leuchtturm der Gegenwartskunst mit internationaler Ausstrahlung« – die Nummer eins der aktuellen Tanzhausdiskussion von Anfang an: die Tonnen- und Jutierhalle auf dem Kreativquartier. Deren Eröffnung ist nach wie vor für 2026 vorgesehen. Und die Finanzierung ist von der Stadt abgesegnet. Nur verschöbe sich durch das Tanzhaus-Vorhaben der Schwerpunkt. Denn die Tonnenhalle war den Performing Arts reserviert, zu denen zweifellos, auch wenn unerwähnt, der Tanz zählt. Nun hieße die Tonnenhalle Tanz- und Performing-Arts-Haus, während in der untrennbar in einem Atemzug genannten Jutierhalle neben Künstlerateliers wohl auch Tanzstudios eingeplant würden. Der Kulturreferent meinte bereits im vergangenen Jahr, mit dem Tanz an vorrangiger Stelle in der Tonnenhalle ein Zeichen setzen zu wollen. Das Votum des Stadtrats allerdings steht noch aus.
Heun und Sixt haben sich für ihre Pläne drei starke Frauen ins Team geholt. Die jüngste von ihnen ist Katharina Voigt von der TU München und widmet sich den optimalen architektonischen Anforderungen eines solchen Hauses, in dem Unterrichts-, Proben- und Aufführungsräume untergebracht werden müssen. Inhaltlich steht als Hauptforderung Heuns die Diversität an erster Stelle. Die Leute vom Nouveau Cirque wollen und sollen mit rein. Außerdem freut sich Heun, dass Tonnenund Jutierhalle direkt neben einem noch zu errichtenden Forschungsgebäude stünden. Weshalb das Areal, auf dem Kunst, Forschung und Lebenskunst entwickelt werden sollen, in der Studie vorläufig nach dem Gravitationsforscher Isaac Newton »NJUTON« benannt wurde. Da könne man dann auch die Bedeutung des Tanzes in der Medizin erforschen.
»Das Tanzhaus ist ein urbanes Zentrum für Tanz und Performance, für die Szene und die Stadtöffentlichkeit«, steht im Konzept. Das Tanzhaus – ein Bürgerhaus, eine eierlegende Wollmilchsau? Wobei Micha Purucker, Tanztendenz München, das künstlerische Herz und der kreative Kopf des alten und neuen Schwere Reiter, Heun verbal einbremst mit seiner staubtrockenen Bemerkung, man könne ja immer alles mit allem verrühren. Da kann man hinzufügen: Das Wesentliche, das sollte doch der professionelle zeitgenössische Tanz sein. Die Tanzkunst halt. Und die Laientanzgruppen, die sollen trotzdem gern abends zwischen den Hallen tanzen können. Denn anders als das neue Schwere Reiter, das nur lebt, wenn am Abend Vorstellung ist, soll das Tanzhaus rund um die Uhr belebt werden. Wenn’s nur so weit kommt. Denn angesichts der ukrainischen Kriegsflüchtlinge wird auch Anton Biebl ernst. Niemand weiß, wie das städtische Geld künftig verteilt wird. Die Kultur hat bisher immer den Kürzeren gezogen. Auch wenn OB Dieter Reiter auf »München-TV« kürzlich beschwichtigte, mit 300 Millionen Euro im Stadtsäckel ließe sich doch so einiges finanzieren. Ob er damit auch ein künftiges Tanzhaus namens NJUTON gemeint hat? ||
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