Das Lenbachhaus lädt die Musik von Julius Eastman in seine Räume.
Julius Eastman im Lenbachhaus
Der vergessene Pionier
Mit dem Fuß schießt Miguel Pérez Iñesta einen kleinen Schellenkranz über den Boden des Kunstbaus. Ein etwa dreijähriges Kind empfängt ihn, hebt ihn auf und beginnt zu rasseln. Die Musiker*innen auf dem Podium steigen darauf ein, ein unregelmäßiges Grundrauschen schwirrt durch den Raum. Das Konzert beginnt. Es ist die halböffentliche Generalprobe der Münchner Philharmoniker, die in Kooperation mit dem Lenbachhaus eine musikalische Retrospektive des Komponisten Julius Eastman eröffnen. Und das rauschige und undefinierte Gerassel dieser Konzerteröffnung unter der Leitung von Pianist Miguel Pérez Iñesta passt gut zur Musik dieses lange vergessenen Vertreters der Minimal Music. Der US-Amerikaner Julius Eastman war schwarz und offen homosexuell. Und wie es die Ungerechtigkeit der Kunstrezeption so will, starb er 1990 mit 50 Jahren verarmt. Es entspricht dem Zeitgeist, diese außergewöhnliche Musik nun wiederzuentdecken. Julius Eastman tauchte so in den vergangenen Jahren schon etwa beim Festival Maerz-Musik in Berlin auf. Und jetzt also in München. Lenbachhauschef Matthias Mühling versteht sein Haus dabei sowieso an Musik angebunden. Ausstellungen mit Musikbezug prägen Mühlings Amtszeit. Die Wiederentdeckung Eastmans in München ist dabei aber besonders schön. Nicht nur aus einem historischen Wiedergutmachungsempfinden heraus, sondern auch rein musikalisch gesehen. Denn Eastmans Musik ist speziell innerhalb der sowieso schon speziellen Minimalisten.
Neun Musiker*innen der Philharmoniker spielen das Stück »Femine« von 1974. Es gab ursprünglich ein »Masculine« als Gegenstück dazu. Dieses aber ist verschollen, so fällt die Betrachtung des etwa 70-minütigen Werks solitär aus. Die Partitur dazu ist nur ein paar Seiten lang, Eastman lässt vieles offen, gibt nur ein paar musikalische Grundbewegungen vor. Die Besetzung ist ebenso offen, die Philharmoniker entschieden sich für Streicher, Bläser, Schlagwerk und Klavier. Ein simples Thema aus vier Tönen am Vibrafon trägt den massigen ersten Teil. Um diese minimalistische Klarheit aber entwickelt sich ein Wogen, Geräuschkulissen, mächtige Klangtümpel. Alles eben nicht so klar strukturiert wie bei Philip Glass oder Steve Reich. Die Klangwolken, die sich um das Grundthema herum spannen, sind diffus, schwellend; von der Klangsprache fast postmodern: Kurz blitzt etwa ein barockes, fugenartiges Gebilde auf, dann erfüllt sich eine romantische Ahnung, später packen die Musiker*innen die Vogelstimmenpfeifen aus. Ein jazziges Slappen auf dem Kontrabass folgt, und dann im letzten Teil tiefe, beinahe an Drones erinnernde Bässe von Posaune und Klavier. Eastmans Musik ist nicht einfach, nicht rational, sondern wuchernd.
Und vor allem stilistisch ziemlich mutig. Der Kunstbau ist da als Konzertsaal so geeignet, wie er eigentlich als die U-Bahn überspannender Schlauch ungeeignet ist. An die Mitte der Längsseite wurde ein kleines Podium gebaut, an zwei Seiten von Sitzsäcken umgeben, gegenüber der Front eine Reihe Stühle. Die Zuschauer versinken in den Säcken und im Raum wie in der Musik. Die Schellen spielt über das gesamte Konzert übrigens das Publikum weiter. Wie eine frühe Form der Community Music. Die Eastman-Reihe im Lenbachhaus wird fortgesetzt, am 11. und 12. März mit dem Kukuruz Quartett, einem so unmöglichen wie ungemein spannenden Ensemble aus vier Klavierspieler*innen. ||
JULIUS EASTMAN: MINIMAL MUSIC
Lenbachhaus | 11., 12., 14. März | 20 Uhr
Tickets: 089 54818181
Am 14. März (20 Uhr) werden außerdem einige Eastman-Kompositionen auf einem Konzert im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus aufgeführt.
Weitere Artikel über Konzerte in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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